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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 6.1895

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Groth, Ernst: Das Kunstgewerbe als Nährquelle für das Handwerk
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https://doi.org/10.11588/diglit.4566#0179

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DAS KUNSTGEWERBE ALS NÄHRQUELLE FÜR DAS HANDWERK.

und zu profiliren, wie der Gegenstand angemessen zu
verzieren, der bildnerische Schmuck sinnvoll zu entwerfen,
und alles in tadelloser Technik auszuführen ist. Und
dann soll er selbst für den kunstgewerblichen Gegen-
stand mit seinen technischen Mitteln die stilgerechte Form
finden und herstellen.

Sehr richtig heißt es in der Zeitschrift „Das Kunst-
gewerbe" in einem offenen Brief an den Bürgermeister
einer deutschen Kleinstadt: „Unsere Kunstgewerbler
haben ja überhaupt ganz verlernt, sich selbst ihren ei-
genen Geschmack zu machen, ihrer ureigenen, indivi-
duellen Auffassung, ihrer besonderen Kompositionsart
etwas zuzutrauen. Nur was in Prachtwerken als muster-
giltig gedruckt zu sehen gewesen ist, gilt ja heutzutage.
Dass die Alten, denen man so gerne nachstreben will,
all das Bewunderte ohne alle unsere Prachtwerke fertig
gebracht haben, dass sie bei aller Gefolgschaft gegenüber
der Tradition doch zumeist aus ihrem Eignen geschaffen
haben; dass das Bewundernswerte just das Aussprechen
der besonderen Individualität des Meisters, oder, wenn
Sie wollen, einer Menschengruppe für sich ist, merkt
man nicht."

Ich kann hier nicht auf alle dem Kunsthandwerker
notwendigen Kenntnisse und Fähigkeiten eingehen.
Semper hat in seinem berühmten Werke: „Der Stil in
den technischen und tektonischen Künsten" das geistige
Fundament für das Kunsthandwerk gegeben, und Männer
wie Jacob v. Falke, Bruno Bucher, Julius Lessing, Justus
Brinkmann u. a, haben wiederholt die Grundgesetze aus-
gesprochen, von denen sich unser Handwerk leiten lassen
muss, wenn es seine alte selbständige Stellung wieder
erreichen will.

Aber die Freude an dem Schaffen und den Leistungen
des Kunsthandwerks, das Interesse an seinen Bestre-
bungen muss wieder eine Sache des deutschen Volkes,
eine nationale Angelegenheit werden, wenn das Gedeihen
von Dauer sein soll. Namentlich sollten die wohlhaben-
den Kreise es als ihre Pflicht ansehen, das Kunsthand-
werk auf alle Weise zu unterstützen und zu fordern,
nicht nur durch zahlreiche Bestellung gediegenerArbeiten,
sondern auch durch Gründung von Stiftungen und Sti-
pendien, die jungen begabten Kunsthandwerkern zu teil
werden müssten. Wenn man bedenkt, wie den Univer-
sitäten ungeheuere Summen zur Verfügung stehen, die
doch oft nur dazu beitragen, ein unproduktives Gelehrten-
proletariat zu erzeugen, wenn man sieht, wie selbst reich

gewordene Handwerker und Industrielle einen Ehrgeiz
darin suchen, Universitäten und Akademien Vermächt-
nisse auszusetzen, so ist die Wahrnehmung sehr be-
trübend, wie wenig doch in dieser Beziehung für unsere
jungen, begabton, produktiven Kunsthandwerker gethan
wird. Und doch wie notwendig wäre es für das ganze
Kunstgewerbe, auch einmal ihre Jünger eine Zeit lang
frei zu halten von dem ermüdenden Kampf ums Dasein,
dass sie mit frischem Geiste, wie einst so viele Meister
der Eenaissance, hinausziehen könnten in die fremden
Laude, iii die großen Werkstätten, aus denen sie reich
an geistigen Schätzen, an technischen Fertigkeiten und
künstlerischen Anregungen in ihr Vaterland, in ihre
Vaterstadt zurückkehren würden. Hier thäte eine Keform
dringend not. Sie würde ein Segen für das deutsche
Handwerk sein.

Das deutsche Handwerk liegt nicht in den letzten
Zügen. Ein frischer, lebendiger Hauch macht sich über-
all bemerkbar. In den kleinen Städten treten die Meister
zusammen und vereinigen ihre Werkstätten, um eine
gemeinsame Dampfkraft für ihre technischen Zwecke zu
benutzen. Die Gemeinden nehmen sich der Lehrlinge
an und suchen ihre Bildung zu erweitern und zu ver-
tiefen. Die Regierungen erkennen immermehr die Not-
wendigkeit, das Handwerk nach allen Sichtungen zu
schützen und zu stützen. Hoffen wir, dass diese wirt-
schaftliche Krisis, in der wir alle stecken, dem deutschen
Handwerk zum Segen gereichen werde. Hoffen wir, dass
das Handwerk auf den mächtigen Flügeln der Kunst
emporsteigen, an dem ewigen Jungbrunnen der künst-
lerischen Arbeit zu neuem schaffensfrohen Leben er-
blühen möge, damit man beim Beginn des neuen Jahr-
hunderts mit den herrlichen Worten aus Schillers Hohem
Liede auf den deutschen Handwerksmann wieder aus-
rufen kann:

Tausend fleiß'ge Hände regen,
Helfen sich in munterm Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heil'gem Schutz;
Jeder freut sich seiner Stelle,
liietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis;
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß.
 
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