DAS KUNSTHANDWERK.
217
Champagnerpokal. Entwurf von Prof. F. Utthxbb in Frankfurt a.M.
Ausgeführt von D. Vollgold & Sohn in Beilin.
Kunstgewerbeblatt. N. F. vi. H. 12.
Fabrik verbreiteten Kunst- und Schmuckformen, so
wenig sie auch für die eigentliche Entwicklung der
Kunst nach oben hin gethan haben, doch die erste
Brücke sind, auf welcher das Kunstgefühl in die
Hütte der Armen hinübergeht. Wir mögen die
Nase rümpfen über die schlechten Buntdruckbilder,
welche für wenige Groschen verkauft werden, aber
schließlich ist ein solches Bild im Hause des Ar-
beiters doch ein unendlicher Fortschritt gegen das
Nichts, das vorher dort herrschte. . . . Wir ärgern
uns über die Nachahmung eines ursprünglich vor-
nehmen Reliefs in gepreßter Pappe; aber wenn auf
diese Weise die holden Gestalten von Thorwaldsen's
Tag und Nacht und den Jahreszeiten, das Stück
für 10 Pfennig, ihren Einzug halten in tausend und
abertausend von Zimmern, in welchen sonst im
besten Falle eine aus Gips geformte, rot und grün
angestrichene Katze als Schmuck aufgestellt war: ist
das nicht auch ein Vorteil, dessen segensreiche
Folgen imermesslich sind?"
Bei dieser Bedeutung des Kunsthandwerks kann
von allen Seiten nie genug für dasselbe gethan
werden. Die Meister und Arbeiter müssen immer
weiter streben, um in immer höherem Grade ihrer
Aufgabe gerecht zu werden. Trotz der anerkannt
großen Fortschritte im allgemeinen werden — neben
geradezu entzückenden, mustergültigen Werken — doch
auch recht unschöne, zweckwidrige Dinge gefertigt.
Der Zweck bezw. die praktische Verwendbarkeit
müssen in erster Linie beachtet werden. Wo diese
Bedingung nicht erfüllt, kann auch unser Schönheits-
gefühl nicht befriedigt werden — außer bei Sachen,
die überhaupt bloß zum Anschauen, als Schmuck
bestimmt sind. Ein Stuhl muss z. B. feste Beine
geeignete Sitzfläche und Rückenlehne haben; wenn
nun die Beine so schwach oder zierlich sind, dass
man sich kaum fest hinzusetzen getraut, oder wenn
der Rücken und der Sitz reich in Hochrelief be-
handelt, ist der Zweck verfehlt. Ebenso wenig soll
der Stuhl im allgemeinen zu schwerfällig werden.
Es ist genau zu beachten, ob derselbe bloß für den
Salon, den Ess- oder Arbeitstisch oder zum Aus-
ruhen gehört, oder ob er schließlich für alle diese
Zwecke dienen muss. — Ein Gefäß, dessen Hals zu
enge und dessen Bauch zu weit ist, ärgert uns,
mag es auch noch so schön und stilgemäß sein, bei
jedem Gebrauch, weil wir entweder alles oder gar
nichts beim Herausgießen bekommen. — Ein Papier-
messer mit dickem hochornamentirten Stahl ist
direkt ein Unsinn; denn, um gut schneiden zu
können, brauchen wir zur Schneide doch eine dünne,
23
217
Champagnerpokal. Entwurf von Prof. F. Utthxbb in Frankfurt a.M.
Ausgeführt von D. Vollgold & Sohn in Beilin.
Kunstgewerbeblatt. N. F. vi. H. 12.
Fabrik verbreiteten Kunst- und Schmuckformen, so
wenig sie auch für die eigentliche Entwicklung der
Kunst nach oben hin gethan haben, doch die erste
Brücke sind, auf welcher das Kunstgefühl in die
Hütte der Armen hinübergeht. Wir mögen die
Nase rümpfen über die schlechten Buntdruckbilder,
welche für wenige Groschen verkauft werden, aber
schließlich ist ein solches Bild im Hause des Ar-
beiters doch ein unendlicher Fortschritt gegen das
Nichts, das vorher dort herrschte. . . . Wir ärgern
uns über die Nachahmung eines ursprünglich vor-
nehmen Reliefs in gepreßter Pappe; aber wenn auf
diese Weise die holden Gestalten von Thorwaldsen's
Tag und Nacht und den Jahreszeiten, das Stück
für 10 Pfennig, ihren Einzug halten in tausend und
abertausend von Zimmern, in welchen sonst im
besten Falle eine aus Gips geformte, rot und grün
angestrichene Katze als Schmuck aufgestellt war: ist
das nicht auch ein Vorteil, dessen segensreiche
Folgen imermesslich sind?"
Bei dieser Bedeutung des Kunsthandwerks kann
von allen Seiten nie genug für dasselbe gethan
werden. Die Meister und Arbeiter müssen immer
weiter streben, um in immer höherem Grade ihrer
Aufgabe gerecht zu werden. Trotz der anerkannt
großen Fortschritte im allgemeinen werden — neben
geradezu entzückenden, mustergültigen Werken — doch
auch recht unschöne, zweckwidrige Dinge gefertigt.
Der Zweck bezw. die praktische Verwendbarkeit
müssen in erster Linie beachtet werden. Wo diese
Bedingung nicht erfüllt, kann auch unser Schönheits-
gefühl nicht befriedigt werden — außer bei Sachen,
die überhaupt bloß zum Anschauen, als Schmuck
bestimmt sind. Ein Stuhl muss z. B. feste Beine
geeignete Sitzfläche und Rückenlehne haben; wenn
nun die Beine so schwach oder zierlich sind, dass
man sich kaum fest hinzusetzen getraut, oder wenn
der Rücken und der Sitz reich in Hochrelief be-
handelt, ist der Zweck verfehlt. Ebenso wenig soll
der Stuhl im allgemeinen zu schwerfällig werden.
Es ist genau zu beachten, ob derselbe bloß für den
Salon, den Ess- oder Arbeitstisch oder zum Aus-
ruhen gehört, oder ob er schließlich für alle diese
Zwecke dienen muss. — Ein Gefäß, dessen Hals zu
enge und dessen Bauch zu weit ist, ärgert uns,
mag es auch noch so schön und stilgemäß sein, bei
jedem Gebrauch, weil wir entweder alles oder gar
nichts beim Herausgießen bekommen. — Ein Papier-
messer mit dickem hochornamentirten Stahl ist
direkt ein Unsinn; denn, um gut schneiden zu
können, brauchen wir zur Schneide doch eine dünne,
23