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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 7.1896

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Weese, Artur: Das Reichsgerichtsgebäude in Leipzig, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.4885#0044
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Das Keiuhsgerichtsgebaude in Leipzij

PAS REICHSGERICHTSGEBÄUDE IN LEIPZIG.

OE kurzer Frist ist in Leipzig der
Monumentalbau des Beichsgerichts unter
großem Gepränge eingeweiht worden. Es
war ein Staatsakt, der die Bedeutimg
der hohen Institution für die einheitliche
Eechtspflege im neuen Deutschen Eeiche
feierte. So kam denn der juristische und staatsmännische
Gedanke fast allein zum Ausdruck und fand in den
Tagesblättern seinen Widerhall.

Hier gilt es, der künstlerischen Seite der festlichen
Weihe gerecht zu werden. Denn nicht nur für den
Ausbau und die innere Einheit der Rechtsprechung
hat der Tag Bedeutung gehabt, er muss auch in der
kunstgeschichtlichen Entwicklung Deutschlands als wich-
tiges Moment verzeichnet werden. Die Thatsache, dass
das Geschäftshaus, der Verwaltungsbau, überhaupt die
von der Beichsregierung Vergebenen Bauten nicht in den
nüchternen und sparsamen Formen eines Nutzbaues er-
richtet werden, sondern als wahre Prachtwerke aus der
Hand genial beanlagter Architekten hervorgehen, ist für
das Gedeihen der Kunst von so folgenschwerer Trag-
weite, dass sie schon von der zeitgenössischen Be-
trachtung vollwertig gewürdigt werden muss. Unter

Kunstgewerbeblatt. N. F. VII. H. 3.

diesem Gesichtspunkte gehört die Weihe des Hauses
allein in den Bereich der Kunstgeschichte, ebenso wie
die Schlusssteinlegung im Keichstagbau zu Berlin. So
gewinnen auch erst die Meister Wallot und Hoffmann
die Stellung im Leben der Nation, die ihnen gebührt.
Blicken wir in die Jahre vor 1870 bis in die Mitte
des Jahrhunderts zurück, welche ziellose und mattherzige
Haltung in der Architektur. Die neuen politischen Er-
rungenschaften haben, wenn auch nicht so schnell, wie
mancher ungeduldige Beobachter erwartete, einen inner-
lichen Umschwung in der Baukunst gezeitigt. Denn es
kann wohl nicht geleugnet werden, dass die ausge-
sprochene Neigung der Architekten für die schweren
und gewaltigernsten Formen des Barock mit dem stolzen
Selbstbewusstsein der neuerstandenen Nation in einem
inneren Causalconnex steht. Die Architektur tritt wür-
diger und monumentaler auf, denn ihre Aufgaben sind
gewachsen. Das konnten sie aber nur auf dem Boden des
nationalen Aufschwunges. Der Biesenbau des Reichs-
tages ist ebenso wie das Eeichsgericht die Folge der
politischen Einigung der deutschen Stämme. Wir sehen
also die unmittelbare Einwirkung der Kriegsjahre in die
stille, friedliche Entwicklung der Kunst. Das sollte
 
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