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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 7.1896

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Die Organisation des französischen Kunstunterrichts
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https://doi.org/10.11588/diglit.4885#0085
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DIE ORGANISATION DES FRANZÖSISCHEN KÜNSTUNTERRICHTS.

Rolioko-Theeservieo. Entworfen und ausgeführt vom Ciseleur J. Rohmeyer in Berlin.

vlämiscbe, hollandische und deutsche Kunst an Ort und
Stelle kennen zu lernen. Diese Anordnungen beweisen,
dass der Vorwurf einer einseitigen Ausbildung völlig
unbegründet ist; trotzdem aber wogt die Pressfehde
gegen die Academie de France weiter, und leider spielen
auch unlautere Motive dabei mit. Die Schar derjenigen,
welche bei dem Concours nicht den prix de Eome davon-
tragen, beginnt den Kampf aus Neid, und macht sich ein
Vergnügen daraus, den glücklichen Siegern alle möglichen
Unvollkommenheiten anzuhängen; die Akademie soll sogar
jedes einigermaßen veranlagte Talent mit dem sicheren
Untergang bedrohen, und man dringt daher von einigen
Seiten auf gänzliche Abschaffung des Instituts. Dadurch
würde aber der feste Zusammenhang mit der Vergangen-
heit verloren sein; denn die französische Kunst, beruht
in erster Linie auf der Renaissance, obgleich sie sich
jetzt davon emanzipirt hat. Ein vertieftes, gründliches
Studium der Renaissance ist aber nur auf dem Boden
möglich, auf welchem sie erwachsen ist, in Rom. Aus
der Verschmelzung des französischen Geistes mit dem
der Renaissance ging eine neue Kunst hervor, ebenso
national wie die frühere mittelalterliche, aber freier und
geschmeidiger, vor allem entwicklungsfähiger. Diese
zugleich originale und vielseitige, maßvolle und kühne
Kunst ist die eigentlich französische. Sie hat sich
niemals, selbst nicht zur Zeit der Lebrun und David,
auf die Nachahmung der Italiener beschränkt, sie ist
immer national gewesen, aber gerade dadurch eignete
sie sich eines der Elemente an, aus denen sich die
französische Nation gebildet hat, den antiken, griechisch-

italischen Geist. Er ist ihr unentbehrlich, aber umfasst
nicht das Ganze ihrer Grundlagen. Die Einheit dieser
Kunst und die Lückenlosigkeit ihrer Traditionen zu
wahren, gehört zu den Aufgaben, die das Institut er-
füllt, welches auf dem Gipfel des Monte Pincio die blau-
weiss-rote Fahne trägt.

Damit indes die Kunst und das Kunsthandwerk
stets auf der Höhe eines guten, reinen Geschmacks
bleiben, ist die Verbreitung und Aufrechterhaltung des-
selben durch einen wohlorganisirten Zeichenunterricht
unbedingt erforderlich. Bis zur Revolution von 1789
galt die Kunst noch als ausschließliches Eigentum der
Aristokratie; erst diese Umwälzung machte die Anschauung
geltend, dass auch das Reich des Schönen Besitztum der
Allgemeinheit sein und dass die wahre, nationale Kunst
im Volksleben wurzeln müsse. Vor 1870 fehlte aber
ein Zeichenunterricht in der Elementarschule, in den
Lyceen und Colleges war er sehr mangelhaft eingerichtet.
Infolgedessen nahm das Kunstverständnis des l'ublikums
mit reißender Schnelligkeit ab und die angewandte Kunst
verschwand fast vollständig. Die internationalen Aus-
stellungen von 1851, 1855 und 1867 gaben deutliche
Beweise von dem Rückgange des französischen Kunst-
handwerks, diejenige von 1878 drängte zu einer Re-
organisation des Kunstunterrichts. Besonders verdankt
man den neuen Aufschwung desselben der Energie und
Einsicht des Direktors der schönen Künste, Herrn de
Chennevieres, welcher den in Trümmern liegenden
Zeichenunterricht neu aufbaute. Die Kammern bewilligten
einen Kredit 51 000 Francs jährlich für diesen Zweck
 
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