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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

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Breuer, Robert: Architektur und Gartenbau auf der Breslauer Jahrhundert-Ausstellung
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0192

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BRESLAUER JAHRHUNDERTAUSSTELLUNG

1 QK
I 03


und sich rhythmisch schön steigernde Disposition der
Räume von Vorteil sein. Die Außenarchitektur weist
antikischen Charakter. Horizontal gelagert drückt der
Bau schwer und massig auf die Erde. Die vier
Kuppeln aber, die über säulenumspannten Turmbauten
sich wölben, heben die Massivität aufwärts und wandeln
die kubische Gedrungenheit in lockere Eleganz. Die
dorischen Halbsäulen, die an dem gesamten Bau die
entscheidenden Vertikalgliederungen verrichten, zeigen
ebenso instruk-
tiv wie anmutig,
mit weicher ver-
stehenden Hin-
gabe Poelzig
das Formenerbe
dem neuen Kon-
struktions-Prin-
zip erwirbt. Weil
Schaft und Ka-
pitäl im Stampf-
beton eineMasse
bilden, wurden
die Kannellüren
durchgezogen.
Die Kämpfer-
platte über die-
sen Säulen und
ebenso die star-
ken Horizonta-
len derGesimse,
dieohneirgend-
welche Konso-
len frei hervor-
ragen, lassen
deutlich das We-
sen des eisen-
bewährten Be-
tons spüren.
Mit diesem Bau
hat Poelzig die
Reihe seiner klar
konstruierten
und doch sinn-
lich erfühlten
Arbeiten, von
denen nur der
Turm in Posen,
die Kirche in
Maltsch, ein Ge-
schäftshaus in Breslau und der Entwurf für das Ber-
liner Opernhaus genannt sein mögen, um eine ab-
schließende Leistung vermehrt. □

a Architekturerotik. Daß es so etwas geben kann und
auch bereits gegeben hat, läßt sich nicht bestreiten. Sprich:
Rokoko. Das Boudoir, der Fauteuil, das von Amoretten
umflogene, wie eine umfangende Woge sich wiegende
Bett: solcherlei und manches dem Verwandte gehört zum
Apparat der Erotik. Die Baukultur der Griechen, der Römer,
der Gotiker, zu schweigen von der Indiens und des cinque-
centistischen Italiens, die Baukultur aller starken und reichen

Zeiten hat den Liebesspielen Altäre errichtet. Es war zu
erwarten, daß die Hauptstadt des Deutschen Reiches und
von Preußen sich dieser Sensationen nicht berauben lassen
würde. Da Berlin sozusagen und überhaupt für Kultur
etwas übrig hat, war es geradezu notwendig, der Nachtseele
des Boulevards künstlerische Ovationen zu bringen. (Zumal
Kunst gegenwärtig Trumpf ist.) Schaudt baute Moulin
rouge, Lucian Bernhard ein Kino und zwei Cafes ä la prin-
cesse, Salvisberg gemeinsam mit dem Bildhauer Henning
das Ballhaus Tabarin, Hugo Pal, der Ungar, abermals
einen Pott (zu-
sammen mit Ce-
sar Klein und
demPIastikerSie-
burg) und Poiret
aus Paris etliche
Wohn- u. Schlaf-
zimmer, die bei
HermannGerson
zu sehen sind.
VondenArchitek-
turen dieses fran-
zösischen Schnei-
dermeisters soll
hier berichtet
werden. Es war
notwendig, zuvor
den Zusammen-
hang, dem sie
gehören, aufzu-
decken. Wobei
aber die Haupt-
sache vergessen
wurde: Wien.
Die europäisier-
ten Orientalia der
W.W. waren bis-
her das Raffinier-
teste an architek-
tonischer Erotik.
Poiret aber ist an
der Donau (am
Graben, dem fa-
mosen Barock-
brunnen gegen-
über) zurWeltge-
kommen. Nicht
mütterlicherseits,
wohl aber, was
seine Originali-
tät betrifft. Also:
Poiret aus Wien,
der bisher ver-
führerische Ent-
kleidungen komponierte, ist unter die Tischler gegangen,
auch unter die Tapezierer. Er kargt nicht mit dem, was
ihm der Zweck des häuslichen Heimes zu sein scheint.
Der Animierarchitekt und Möbelschneider soll leben. Im
übrigen aber: wir brauchen uns nicht zu ängstigen. Wenn
Paris nichts anderes, als diesen vom erotischen Wahnsinn
befallenen Jugendstil gegen die neue deutsche Art vorzu-
schicken hat, dürfen wir des Ausstellungskampfes, zu dem
man uns lud, mit dem es die Franzosen aber nicht eilig
zu haben scheinen, geduldig warten. Wir dürfen sogar
unsere Ballsäle, Kientöppe und Bars nach wie vor und
noch verrückter anschminken. Dieweil wir nämlich zu dis-
tanzieren wissen, was Ernst und Komik, was Episode und
was Epoche ist. Breuer.

Stadtbaurat Berg, Detail der Festhalle auf der Jahrhundertausstellung in Breslau
 
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