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Kunstgewerbeblatt: Vereinsorgan der Kunstgewerbevereine Berlin, Dresden, Düsseldorf, Elberfeld, Frankfurt a. M., Hamburg, Hannover, Karlsruhe I. B., Königsberg i. Preussen, Leipzig, Magdeburg, Pforzheim und Stuttgart — NF 24.1913

DOI Artikel:
Wallerstein, Victor: Anfänge einer neuen Architektur und Raumkunst in Prag
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https://doi.org/10.11588/diglit.4432#0235

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NEUE ARCHITEKTUR UND RAUMKUNST IN PRAG


so verschmäht sie es nicht, sich auf alles zu berufen,
was sich auf verwandten Grundsätzen aufbaut: die
ganze Kunst der frühen Gotik und hauptsächlich die
des Barock. Das Exempel stimmt. Gotik und Barock
haben, wie man längst erkannt hat, die gleichen Be-
strebungen und der neue Stil zeigt eine starke Inklination
zu ihnen. Aber nicht nur in den Werken vergangener
Epochen haben die jungen Tschechen die Vorläufer
ihrer Ideen; es gibt auch Moderne, mit denen sie
merkwürdige Berührungspunkte haben, ja solche
Moderne, die die leizte Phase der Entwicklung durch
Wort und Werk ins Leben rufen halfen und selbst
vielleicht gegen eine Verwandtschaft mit der heutigen
Richtung protestieren würden. Das klingt seltsam,
ist es aber nicht, wenn wir sehen, daß es gerade die
Männer sind, die schon damals anders waren, als die
anderen, ich möchte sagen unzeitgemäß und infolge-
dessen vom großen Strom der Entwicklung nicht
aufgenommen, bis heute abseits stehen und eigentlich
auch keine Schule machten. Ihre Kunst konnte, soviel
Anregung in ihr liegen mochte, nicht aufgenommen
werden, eben weil sie unzeitgemäß war. Obrist,
Pankok und Endeil (in seinen Anfängen) blieben von
der ganzen modernen Bewegung so gut wie aus-
geschlossen. Wo stehen heute auf öffentlichem Platz
und auf Bestellung höheren Orts Arbeiten von ihnen
(abgesehen von dem Wenigen, das Pankok durch
den ihm befreundeten Direktor der Stuttgarter Galerie
aufgetragen wurde)? Das Wesentliche ist, daß auch
dieses Wenige rein künstlerisch genommen eine Sonder-
existenz führt und immer als Seltsamkeit betrachtet
wird. Gerade auf diese bis heute nicht genug ge-

kannten und geschätzten Künstler berufen sich die
Jungen! In der letzten Nummer ihrer Zeitschrift bringen
sie Abbildungen der wichtigsten und auch neuesten
Arbeiten von Herrmann Obrist. Ist das Zufall? Man
hat häufig genug in den Arbeiten Obrists auf jenes
Moment hingewiesen, das Verwandtschaft mit der Gotik
zeigt, und auch Pankoks Kunst ist durchsetzt von der
Liebe zum phantastisch »Zwecklosen«, Ornamentalen,
Bewegten auf durchaus naturalistischer Grundlage.
Damit ist auch schon der Grund gefunden, warum
diese Kunst nicht zeitgemäß war und nicht aufgenommen
werden konnte. Die Zeittendenz ging eben nach dem
Tektonischen, Zweckmäßigen, Struktiven, und diese
Künstler hatten nur das »Verlangen, aufzugehen in
einer unsinnlichen mechanischen Bewegtheit stärkster
Potenz«. Das Fruchtbare in ihren Arbeiten ging aber
nicht verloren; man findet jetzt eine Brücke dazu,
wo die Zeitstimmung eine Kunst ähnlicher Art, aber
auf anderer, nicht naturalistischer Basis hervor-
gebracht hat. n
□ Neben diesen Anregungen von durchaus latenter
Art könnte jemand auch Verwandtschaften mit einigen
Werken der jüngsten französischen Architektur ent-
decken. Duchamp-Villon publiziert z. B. in den »Les
peintres Cubistes« ein Modell zu einem Privathaus
(Abb. oben), das tatsächlich in starkem Zusammen-
hang mit den tschechischen Arbeiten zu sein scheint.
Abgesehen davon, daß diese Publikation schon zeitlich
nicht hat auf die Prager einwirken können (da sie
später erschienen war), so sind auch die hier ver-
körperten Tendenzen durchaus andere, wenn über-
haupt hier von neuen Tendenzen gesprochen werden
 
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