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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 1
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11729#0018

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(E

eines Maximilian Kranß, nicht aber eines Malers. Hier fehlt
es noch an der Beobachtung und Foringebung. Aber trotzdeur
überall Spuren eines nicht zu verachtenden Talentes; großes
Empfinden durchpnlst das Ganze und verspricht auf das be
stimmleste, in künftigen Werken festere Form in größerer gedank-
licher Durchdringung des Stoffs zu zeigem

Hierauf folgte das „Flirten" des Ehrenmitgliedes der
hiesigen Hvfbühne Klara Ziegler. Nachdem es mit den
schauspielerischen Fähigkeiten allmählich sanft zu Ende gegangen
ist, wollen sich noch dichterische einstellen. Das Lustspielchen,
schon vorher in Ems und Kissingen gegeben, hat sicher den
Vorzug der Leichtigkeit und Grazie, einige Szenen abgerechnet.
Man lacht, und es gefältt. Baron Warden, Gigerljüngling des
üiZü lite und „Gimpel", besucht mit Komtesse Charlotte das
Schlößchen des „Bauernbarons", um hier weiter flirten zu
können. Es wird ihm aber ein Strich durch die Rechnung ge-
macht. Bei einer Kahnfahrt fällt die Komtesse ins Wasser und
wird natürlich vom „Bauernbaron" herausgezogen, der die
Sache vom Fenster aus bevbachtet — ein nachgerade bis zum
Ekeln abgebrauchtes Mittel, draußen Vorgehendes dem Publikum
initzuteilen. Sie finden sich dann nach langweiligem Vortrag
eines Teiles der Lebensgeschichte des Retters. Die Teilnahme
kommt und schwindet mit dem Gigerl. Damit ist Alles gesagt.

Das abgerundetste, bühnengeschickteste Slück war der aus-
gelasfene Schwank „Strafe muß fein" von Labiche und
Delaeour, aber auch zugleich das banalste. Gewandt bis
zum Ende, wo einer drohenden ernsten Verwicktung dadurch die
Spitze abgebrochen wird, daß der betrogene vermeintliche „Gatte"
gesteht, auch einmal einen „Fehltritt" begangen zu haben, indem
er jeine Köchin als Frau mitnahm. Die Franzosen können mit
nichts anderem mehr wirken, als mit Ehebruchsgeschichten; aber
wenn diese noch fo fcherzhaft vorgetragen werden und zu noch
so köstlichen Verwicklungen Anlaß geben — es widert an, gerade
weil es scherzhaft behandelt ist. Der Jnhalt ist uicht wert, daß
man ihn wiedergibt. Das Beste daran war die treffliche Über-
setzung von August Fresenius. Fr. Larstanjen.

Aus Dresden s chreibt man uns:

Die Hoffnungen aus ein ernfteres und höheren Zielen zu-
gewandtes Streben der Leitung unseres königlichen Schauspiel-
hauses, die durch eine vorläufige Ankündigung der Hauptwerke
des neuen Spielplanes erfreulich erweckt worden waren, erfuhren
leider bei der Wiedereröffnung des Neustädter Schauspielhauses
eine niederschlagende Enttäuschung. Schon das Zeichen, unter
dem diese Vorstellung ftand, machte stutzen: ein niedergehender
Stern ani deutschen Bühnenhinimel, wenn auch den berechnenden
Astronomen an der Theaterkasfe noch immer lieb und wert,
Paul Lindau! Das neueste Werk Lindau's, das man der
Ehre einer Eröffnungsvorstellung würdigen zu dürfen glaubte,
wird vielleicht nun auch diesen Aftronomen, die zur Beobachlung
des Phänomens hierher geeilt waren, gelehrt haben, daß ihr
Liebliug, der noch kürzlich zur „Sonne" strebte, mehr und mehr
dem Reiche der „Schatten" zueilt. Wie der Vater dieser „Un
geratenen Kinder" in dem Lustspiele es erleben muß, daß die
Mühen, feine Kinder zu Weltkindern zu erziehen, an ihrem
philiströsen Hang zur Solidität scheiiern, so erlebt es Lindau,
daß alle seine Mühen, ein Lustspiel zu schreiben, an der Un-
fruchtbarkeit seiner Erfindung, an der durch Witz und Spötterei
kaum mehr zu verdeckenden Blöße des Geistes und des Gemütes
scheitern. Der Vorwurf des Stückes wäre, wenn auch gesucht,
doch nicht durchaus übel, — wenn es nur dem Verfasfer ge-
lungen wäre, die pfychologischen und sozialen Bedingungen klar-
zustellen, die den Abfall der srommen Kinder von dem Weltsinn
des Vaters veranlassen! So gründlicher Arbeit entschlagen sich
unsere „Lustspieldichter" jedoch mit rührender Einhelligkeit, warum


also nicht auch Lindau? ?lber selbst die Schilderung der that-
sächlichen äußeren Verhältnisfe ist versehlt und schwach, keine
Figur ist dem Leben abgelauscht, alle sind Geburten aus dem
Spott des Witzreißers und dem Vater nur lieb als Objekte,
Zielpunkte seiner Witzpfeile. Sind diese zumeist auch stumpfer,
als zu erwarten war, so herrscht doch in dem ganzen Werk ein
Geist dec Zersetzung und Auflösung, an dem es schließlich selbft
zu grunde geht. Als ein Zeugnis dieses Selbstvernichtungs-
prozesfes kommt Lindaus neuestem Luststspiel eine literargeschicht-
liche Bedeutung zu. L. L.

Muük.

* Anton Wruckners siebzigster Geburtstag regt die
musikalische Welt wieder eiumal au, sich das Bild dieses
Vielumstrittenen zu zeigen.

Von Bruckner gilt das Wort von der Parteien Haß
und Gunst nicht nur im gewöhnlichen, sondern auch
noch in dem besonderen Sinne, daß gerade die Gunst
sein Bild verwirrte. Zumal von manchen Wagnerianern
Wiens gar zu einseitigen Urteils allzu stürmisch gelobt,
begegnete er einer mißtrauischen Voreingenvmmenheit
bei den Leuten der anderen Musikparteien.

Der Mann, der Jahrzehnte lang ohne äußern Er-
folg komplizirte Tonwerke und Symphonien auf Sym-
phouien schrieb, Idealist wie Einer, hatte gelerut bei
Beethoveu, beim alten Bach, dem er seine Meisterschast
im Kontrapunkt verdankt, bei Schubert, mit dem er in
der Art seiner melodischen Erfindung verwandt ist,
und nun er vor allem bei Wagner gelernt, ward es
sein künstlerisches Hauptbestreben: die Wagnerschen
Theorien von der unendlichen Melodie, vom Leit-
motiv n. s. w. auf die reine Jnstrumentalmusik zu
übertragen. Eine Sache, gewiß des Schweißes der
Edeln wert. Und wer wollte so geradehin behaupten,
daß des Meisters Können seinem Wollen just nicht ent-
sprochen habe? Beherrschte er doch von Grund aus
die Form, hatfe er doch bedeuteude Erfindungsgabe,
kamen ihm doch gelegentlich wuudersame Einfülle beinahe
genialen Charakters, so daß in jedem seiner Werke groß-
ortige Jnspirationen, ja oft ganz gewaltige Musik-
gedanken auftraten. Aber das ist der Maugel: sie
entwickelten sich selten folgerecht weiter; Bruckners eigen-
tümlich sprunghafte, zerfahrene Kompositionsweise ver-
hinderte ein Ausleben der Motive und Themen, wie es
die symphonische Form erheischt. Da erklingen denn,
wenn wir seinen SchöPfuugen lauschen, mächtigeOesceriäi
mit langanhaltendem Wogen uud Branden, da hebt sich
Begeisterung mit wnchtigen Akkordschlägen auf und sie
leuchtet aus kühn geschwungenen breiten melodischen
Linien, daß dem Hörer der Atem vergeht vor Erwartung,
was kommeu soll. Aber was daun kommt, ist nur zu
oft ein Verpusfen in musikalischen Raketen oder ein
unfruchtbares Reflektiren — bis eiue neue Klimax ein-
setzt, ach, nahe dem Gipfel wiederum ermattend. Es
ist mitunter, als stiegen wir einer Aussicht zu, die
während des Weges uns durch die Stämme und Zweige
lockend anschimmert, und auf dem Gipfel fänden wir
sie doch verwachsen; wir spüreu sie überall, wir ge-
nießen sie nirgends voll.

Jn Bruckners L clur-Symphouie, besonders in ihrem
wundervollen ^.nckairke, treten diese Mängel weuiger
hervor, deshalb ist dieses Werk von ihm das bekannteste
geworden. Auch das großartige Teckealn befestigt sich
immer mehr in der Gunst des Publikums. Bieles, gar
 
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