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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 3
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Bartels, Adolf: Poesie und Sittlichkeit
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11729#0048

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freilich nichts nützen kann), aber wer sie als Kunstwerke
deshalb von vorneherein tadelt, setzt sich zweifellos ins
Unrecht. Das jedoch kann er vcrlangen, nnd hier stecken
die Sittengesetze der Kunst: Man muß der Darstellung
anmerken, daß der Dichter selbst gesehen und von
schöpferischem Drange getrieben dargestellt hat; es mnß
ferner in dem Werke alles, vor allem das, was an und
für sich peinlich wirkt, an seiner Stelle, Licht und
Schatten müssen richtig verteilt kurz, das Werk muß
wirklich ein Kunstwerk sein. Nur dann sind die
„unsittlichen" Elemente berechtigt, wenn sie
^ in derTotalität des Werkes rein aufgehen,
oder doch nur mit dem Bruch, den die Unvollkommen-
heit alles Jrdischen bedingt. Jn dieser Weise enthält
sie fast jedes bedeutende Werk, jede Tragödie z. B.;
denn die Leidenschaft an und für sich ist schon etwas
Unsittliches, die Aufhebung der inneren Harmonie des
Menschen und eine Bedrohung anderer Wesen. Ohne
! Leidenschaften aber kein Leben und ohne Leben kein
Kunstwerk. Doch ich weiß wohl, die Mehrzahl der
Beurteiler denkt an etwas ganz anderes, wenn von Un-
sittlichkeit in der Poesie die Rede ist. — Jeder be-
deutende Dichter, haben wir dann gefunden, erfüllt
ohne weiteres die sittlichen Ansprüche, die man an eine
Dichtung stellt, ist es doch seine eigenste Gabe, die Welt
richtig zu sehen und darzustellen. Seine große Jndi-
vidualität giebt dem Stoffe die Form; Form ist eigent-
lich weiter nichts, als das Jndividuelle im Kunstwerk.

! Freilich, nur insoweit die Kunstmittel ansreichen, kann
! die Darstellung vollkommen sein, jede Kunst appelliert
an eine größere oder geringere Jllusionsfähigkeit dessen,
der sie genießen soll, die Dinge selbst kann die Kunst
niemals geben. Nnn aber ist die Kunst selbst wieder

nicht das Produkt eines Einzelnen, eine lange Entwick-
lung der Menschheit hat sie geschaffen. Giebt das ein-
zelne dichterische Jndividuum dem Stoff die Form, so
entlehnt er doch meist die Formen, schon die sprach-
lichen, dann die poetischen. Jn den poetischen Formen
liegt aber viel mehr, als man gewöhnlich annimmt; es
ist oft bloß eine Frage der äußeren Form, vb ein Stoff
peinlich wirken soll oder nicht. Bekannt ist die Be-
merkung Goethes, daß sich der Jnhalt seiner „Römischen
Elegien", in den Ton und die Versart von Byrons
„Don Juan" übertragen, ganz verrucht ausnehmen müffe,
nnd nur in der dramatischen Form, die stets ein volles
^ Weltbild verspricht und den großen Hintergrund wie
den weiten Horizont erfordert, wirkt der Stoff von
Hauptmanns „Vor Sonnenaufgang" so widerlich. So
komnit denn dreierlei in Betracht, wenn man ein Kunst-
werk zu beurteilen hat: der Stoff (das Materielle), die
äußere Form (das Generelle), die innere Form (das
Jndividnelle). Letztere gibt allezeit den Ausschlag: der
Stoff geht dem Dichter auf, die äußere Form kommt
meist unwillkürlich, hinter der inneren aber steht er mit
seiner ganzen Persönlichkeit, und so entscheidet, wenn
man vom sittlichen Standpunkte urteilen will, zuletzt
diese. Persönlichkeit des Dichters aber nnd Artung
seines Talents pflegen sich zu entsprechen; wo ich also
im Kunstwerk wahre Poesie bemerke, da ist auch wahre
Sittlichkeit, und so sind nicht bloß, wie Schiller meinte,
Wahrheit und Sckönheit im Bnnde, die Sittlichkeit
tritt noch hinzu, nicht als strenge Richterin, nur den
Bösen fchreckend, im Auge das, ohne was auch die
Kunst, und wenn sie mit Engelzungen redete, nichts ist:
die Liebe. Ndoll Wartels.

Illundlckau.

DLcdtung.

* Sckiöne Literatur. 47.

Des o n u en r e i ch es Uute r g a n g. Ein KulMrdraina
in fünf Aufzügen von Wolfgang Kir ch b a ch. (Dresden,
Pierson, f,so Mk.>

Es ließe sich mit dem Verfasser darllber rechten, ob, nne
er iin Borwort andeutet, sein Werk dem Wesen nach den gegen-
wartigen besonders verwandte Kulturbewegungen darstelle. „Wie
eine rasend gesteigerte Gewinnsucht ein ganzes Volksgemeinwesen
samt seiner hochentwickelten Kultur zu grunde richtet'h das würde
eine Parallele zu unserem Heute nur dann ergeben, ivenn sichs
auch im alten Pern uni Feinde gehandelt hätte, die aus dieser
Kultur selber erwachsen wären, Aber trok der Wirreit im
Jnnern des Jnkareichs haben wir nicht den geringsten Grnnd, ^
seinen Untergang als eine Notwendigkeit anzunehmen, die sich
auch ohne das Einbrechen der Pizarroschen Abenteuier, also
ohne ein für jene Welt wirkliches aber unerhört nnwahrschein
liches Ereiguis vvllzogen häkte. So sehr nns also die mancherlei
Anklänge in der Berfassung von Alt-Peru an Jdeale der Gegen-
wart interessieren — die Verwandtschaft gerade des tragischen Unter

ganges dieser Welt mit fozialen Entwicklungen unserer Zeit
können wir nicht erkennen.

Es hätte jedvch des Konstrnierens einer solchen Verwandt-
schaft nicht bedurft, um unsere Teilnahme für den Stoff zu
wecken; Kirchbachs dichterische Begabung hat sich vou je nicht
zuletzt im Finden vortrefflicher Stoffe sür seine Dichtungen ge-
üustert, und er hat diesmal einen seiner besten Griffe gethan.
Die Vernichtung des Svnnenreiches mit seiner hohen Kultur
durch eine Bande fremden Gesindels ist ja so erschütternd, dast
ihre drainatische Behandlung des echtesten Dichters echtester
Mühen würdig wäre. Aber leider zeigt Kirchbach anch in diesem
Werke das bei ihm so häufige seltsame Miteinander von Pvet-
ischem Gold nnd poetischem Blei — das leichtgeschmolzene Blei
bildet hier die Hauptmasse, das Gold liegt, und vft noch fest,
dazwischeu. Lauge Stellen des Dramas sind gereimte Prosa,
dann kommt wieder eine', die nur der echte Dichter schreiben
kann, der in Kirchbach steckt. Wir werden angeregt, enttäuscht,
wieder angeregt, wieder enttäuscht, bis wir das Ganze mit dem
Gefühl aus der Hand legen, einen hervorragenden Menschen, aber
 
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