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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 20
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11729#0320

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DLcdtung.

* Zcböne Litcrntnr.

Gedichte von Leopold Weber. (München, vr. E.
Albert L Co.)

Meiner Meinung nach sind die besseren dieser Gedichte
wenigstens Keime zu echten Gedichten ich glaube damit
immerhin ein Lob zu sagen. Es liegt Talent in ihnen,
ganz gewiß, so viel Talent, daß ich's berechtigt finde, ihrer
an diesem Orte zu erwähnen. Da ist jenes Streben nach
ruhiger Vertiefung in eine Anschauung, das ich immer
mit ganz besonderer Freude als etwas Verheißungsvolles
begrüße, unverkennbar starkes Naturgefühl und Persön-
lichkeit. Noch aber ist der Verfasser nicht recht dahinter-
gekommen, was für ein Ding dichterische Sprache eigent-
lich ist. Er benutzt unser Deutsch nicht viel anders, als
man's eben zu einer warm empfundenen Schilderung zu
benutzen pflegt: unter treuer Verwendung all der wohlge-
lernten Redemittel, noch nicht aber echt dichterisch, noch
nicht als aus den Tiefen des eignen Jchs nnedergeborenen
Ausdruck, noch nicht daher andern gegenüber „fuggestiv."
Es geht vielen Lyrikern so und wohl nicht den schlechtesten,
daß ihnen erst geraume Zeit nach dein Erstlingswerke die
Erkenntnis von der wahren Sprachkunst aufgeht und dann
gewöhnlich zugleich mit übertrieben starker Mißachtung
ihrer Jugendgedichte. Vesonders die ungereimten freien
Rhythmen sind hier kennzeichnend für das Unfertige: ich
alaube, Leopold Weber nnrd fich nach zehn Jahren davor
hüten, ohne dringenden innercn Zwang in freien Rhythmen
zu dichten, denn nichts ist schivieriger, nichts gelingt auch
dem gottbegnadeten Sprachgenie seltener, als eine
gute Hymne, während nichts leichter ist, als eine soge-
nannte in Nachfolgerschaft der Heineschen Nordseebilder.
Denn während die sogenannten freien Hymnen auch fast
all unsrer Jungdeutfchen nichts weiter sind, als bequeme
weil in geivissem Sinne formlose Ergüsse, ist die echte
Hymne das Allerfeinste und Allerhöchste gerade der auf !
das strengste durchgeführten charakterisierenden Form-
gebung. Denn hier verzichtet der Lyriker auf die Hilfe
überlieferter Rhythmen- und Reimfiguren, um eine Form
zu bilden, die den besonderen Vorwurf gerade diefes
Gedichts so bezeichnend ausdrücke, wie dies innerhalb
der Gebundenheit durch Schemata nicht anginge. Seine
Sprache hat also bis in das allerintimste feder Seelen-
bewegung zu solgen und doch zugleich ein abgerundetes ^
Ganzes zu schaffen, das als folches wieder den Vorwurf
des Gedichts charakterisiert. Man wolle mit - den eben
genannten Nordseebildern Heines etiva Hölderlins „Schick-
salslied" oder Goethes „Prometheus" vergleichen, uni den
weiten Abstand sosort zu empfinden. Echte Hymnen bilden
ihre Fornien nicht, wie ausgegossenes Wasser aus dem
Boden ausläuft je nach der Mcnge und dcn Hindernissen
zu einem so oder so begrenzten Flecken wird, fondern wie
es ans einein Samenkorne sdem Stoffc) eine ganz be-
stimmte Pflanze gestaltet.

5usi. Eine Hofgeschichte von Friedrich Spiel-
hagen. (Stuttgart, Engelhorn, geb. Mk. ^so.)

Wenn man daran denkt, welchen Rufes auch die
neueren Bücher 'Lpielhagens noch iminer bei vielen genießen

s cb a u.

und mit wie außerordentlich hohem Selbstbewußtsein
dieser Schriftsteller erst jüngst wieder vom Romane als
dem modernen Epos und — wenn nicht mit so zwischen
seinen Worten - von sich als einem denn doch sehr be-
achtlichen Vertreter dieses modernen Epos gesprochen hat,
so macht diese „Susi" hier einen wunderlichen Eindruck.
Gewiß, Spielhagen versteht heute noch so zu erzählen,
daß man ihm zuhören mag, aber von dichterischer
Darstellung, von einem Mitleben-Lassen mit den
Menschen und mit den Ereignissen ift bei ihm wenig
die Rede. Was er uns erzählt, „bleibt immer was
Erzähltes." Sehr hoch abcr kann ich auch den schrift-
stellerischen Wert dieser unreinlichen Ehcbruchsgeschichte
vom Hofe nicht anschlagen, dazu dringt sie auch mit der
! verstandesmäßigen Besprechung nicht tief genug. Jch
fürchte: trotz aller Geschicklichkeit, mit der dn gruppiert,
charakterisiert und geschildert ist, trotz aller „Technik des
Romans" und trotz der anständigen Gesinnung, die, wie
bei Spielhagen selbstverständlich, unlautere Mittel zum
Effektmachen verschmäht, wird diese „Susi" mehr Leute
des lieben Klntsches willen als wegen ihres dichterischen
oder schriftstellerischen Wertes zu Lesern gewinnen.

Sigruu. Tragödie in fünf Akten von Karl Weit-
brecht. (Stuttgart, Fr. Frommans Verlag.)

„Ein Dramn, das nicht fürs bloße Lesen, sondern für
die lebendige Darstellung auf der Bühne bestimmt ist,
wird nie fertig, ehe es über die Bühne gegangen ist
wenn es überhaupt jemals gnnz fertig wird." So haben
die mancherlci Erfahrungen, die der Verfasser bei den
Stuttgnrter Aufführungen des vorliegenden Stückes machte,
ihn zu Veründerungen und diese Veränderungen ihn zu
diesein Neudruck seines zuerst in den „neuen Dichtungen"
„Sonnenwende"veröffentlichtenWerkesveranlaßt. „Sigrun"
ist wert, auch gelesen zu werden. Wer über das „was
ist uns Hekuba?" solchen alten Stoffen gegenüber hinaus-
kommen kann, das ost genug recht flachsinnig gefragt
wird, wer dem Atem der Leidenschaft auch lauschen mag,
wenn keinerlci „moderne Probleme" dabei im Spiele sind,
der wird sich in diese Jambcntragödie voller Teilnahme
versenken können, denn das Antiquarische darin tritt weit
zurück hinter das Menschliche. Weitbrechts „Sigrun" ist
ein heißblütiges Dichterwerk von Kraft und Ernst.

* ,,ll>rrtriotiscbe Dicbtumz." Selbst ein so konser-
vatives Blatt wie die Kreuzzeitung bekennt ihr Erstaunen
über „Das hohe Lied vom Kaiser Friedrich Ikl"
uon O. Benze v o n B e n z e n h o f e n. Ein paar Proben
daraus. Das Eheglück des Krvnprinzenpaares schildert der
Sänger iübrigens dabei ein Blatt der „Verzanberten
Rose" verballhornend) so:

„O süße Lust, wenn Mund an Mundc hänget,

Und Denken, Fühlen, unser ganzes Sein
Jn einen Kuß, in einen Hauch sich dränget!

O nnmenlose, seelige Liebespein!

Ja! Gattenlieb, wen nie dein Netz umwunden,

Der hat des Lebens Reiz nie ganz empfunden."

Aber zwei Söhne sterben:

„Ach, jene Zeit war trübc und voll Pein!

Es konnten sich die Eltern nicht gewöhnen,

Daß zwei hinfort nur blieben von den Söhnen."

Die beiden Überlebenden wachsen heran. Der Ältere

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