Lxveites Gktoberbett 1894.
2. Dekt.
Lrscheint
Derausgeber:
Frvüinänü Nvensnius.
Vestellxrers:
vierteljäbrlich 2^/s tltark.
S. Zabrg.
y^ann jeder Künstler auch über jegliches Problem
in Sachen der Kunst als Fachmann reden
und schreiben?, hat er hervorragende
anderweitige Begabung nicht vorausgcsetzt —
lediglich auf Grund seiner Künstlerschaft ein besonderes
Anrecht auf Beachtung und Autorität? Jn dieser All-
gemeinheit kann die Frage nur verneint werden. Jm
Spezicllen ist sie eigentlich nur dann zu bejaheu, wenn
es sich um Gegenstände handelt, zu deren Erledigung
gründliche Kennerschaft ausreickt. Aber selbst ein klang-
voller Künstlername bietet noch keine Bürgschaft, daß
sein Träger auch nur eine leidliche Kunstbesprechung
liefern kann. Für Manche sind eben nur Formen oder
Töne die nntürlichen Ausdrucksmittel, und das Wort
erscheint sür die Entfaltung ihres Jnneren als in-
adäquates Werkzeug, das sie nur unbeholsen zu hand-
haben verstehen. Aber selbstverständlich giebt es nicht
wenige Künstler, die gar anziehend und anregend über
ihre Kunst zu schreiben wissen. Und da für die Gattung
der naiv wertenden Kunstplauderei Kennerschaft doch die
wesentlichste Voraussetzung ist, diese aber ein wirklicher
Künstler natürlich hat, so kann man auch nicht an-
nehmen, daß ein solcher Künstler direkt etwas ganz Un-
haltbares und Thörichtes vorbringt, sobald er sich nur
innerhalb der Grenzen jener Gattung bewegt.
Anders schon verhält es sich aus dem Gebiete der
kritischen begründenden Sckriftstellerei. Hier steht unter
den notwendigen Boraussetzungen die Fähigkeit und Schu-
lung im abstrakten Denken der Kennerschaft als gleichwertig
gegenüber. Bei manchen Fragen wird diese, bei an-
Ikennen und Ikönnen.
Seblussauklatz.
deren jenes in erster Linie stehen. Und man wird nicht
gut behaupten können, daß ein hoher Rang im Kunst-
schaffen als notwendige Begleiterscheinuug die spe-
zifischc Begabung eiues denkenden und kluren Kopses
mit sich führt. Am ehesten wird dies bei den Künst-
lern der Worte uud der Gedanken zutreffen — haben
doch in der That die hervorragendsten Dichter der
Deutschen — Goethe, Schiller, Lessing, Jean Paul,
Herder — über verschiedene Zweige der Kunst trefflich
theoretisirt. Aber im Übrigen paart sich ein reiches
Phantasieleben in Anschauungen, Formen oder Tönen
nur selten mit einer starken Neigung, Gründen nach-
zugehen, in der Erscheinungen Fülle das Allgemeine
zu suchen, Begriffe abzugrenzen und Probleme klar und
reinlich zu entwickeln.
Und geradezu gegensätzlich erscheint vielfach die Be-
gabung des schaffenden Künstlers zu der des Philosophen
-— auch des Ästhetikers. Die philosophische Ästhetik ist
in erster Linie Wissenschaft. Jhre Bearbeitung setzt
in erster Linie die Fähigkeiten des Wissenschaftlers vor-
aus: bedeutende Schulung im abstrakten und systematischen
Denken, sowie Fachkenntnisse anf psychologischem, physio-
logischen, physikalischen, mathematischen Gebiete. Je mehr
sich der Philosoph mit den ersten Prinzipien befaßt, um
so mehr wird er sogar des eigentlichen Kennertums ent-
raten können. Einzelheiten und Feinheiten, die den
Künstler beschäftigen und entzücken, werden dort uicht
in Frage kommen, wo man sich noch mit den Elementar-
fragen herumschlägt. Und umgekehrt wird das, was
dem Künstler als das Selbstverständlichste der Welt
M Micle M
2. Dekt.
Lrscheint
Derausgeber:
Frvüinänü Nvensnius.
Vestellxrers:
vierteljäbrlich 2^/s tltark.
S. Zabrg.
y^ann jeder Künstler auch über jegliches Problem
in Sachen der Kunst als Fachmann reden
und schreiben?, hat er hervorragende
anderweitige Begabung nicht vorausgcsetzt —
lediglich auf Grund seiner Künstlerschaft ein besonderes
Anrecht auf Beachtung und Autorität? Jn dieser All-
gemeinheit kann die Frage nur verneint werden. Jm
Spezicllen ist sie eigentlich nur dann zu bejaheu, wenn
es sich um Gegenstände handelt, zu deren Erledigung
gründliche Kennerschaft ausreickt. Aber selbst ein klang-
voller Künstlername bietet noch keine Bürgschaft, daß
sein Träger auch nur eine leidliche Kunstbesprechung
liefern kann. Für Manche sind eben nur Formen oder
Töne die nntürlichen Ausdrucksmittel, und das Wort
erscheint sür die Entfaltung ihres Jnneren als in-
adäquates Werkzeug, das sie nur unbeholsen zu hand-
haben verstehen. Aber selbstverständlich giebt es nicht
wenige Künstler, die gar anziehend und anregend über
ihre Kunst zu schreiben wissen. Und da für die Gattung
der naiv wertenden Kunstplauderei Kennerschaft doch die
wesentlichste Voraussetzung ist, diese aber ein wirklicher
Künstler natürlich hat, so kann man auch nicht an-
nehmen, daß ein solcher Künstler direkt etwas ganz Un-
haltbares und Thörichtes vorbringt, sobald er sich nur
innerhalb der Grenzen jener Gattung bewegt.
Anders schon verhält es sich aus dem Gebiete der
kritischen begründenden Sckriftstellerei. Hier steht unter
den notwendigen Boraussetzungen die Fähigkeit und Schu-
lung im abstrakten Denken der Kennerschaft als gleichwertig
gegenüber. Bei manchen Fragen wird diese, bei an-
Ikennen und Ikönnen.
Seblussauklatz.
deren jenes in erster Linie stehen. Und man wird nicht
gut behaupten können, daß ein hoher Rang im Kunst-
schaffen als notwendige Begleiterscheinuug die spe-
zifischc Begabung eiues denkenden und kluren Kopses
mit sich führt. Am ehesten wird dies bei den Künst-
lern der Worte uud der Gedanken zutreffen — haben
doch in der That die hervorragendsten Dichter der
Deutschen — Goethe, Schiller, Lessing, Jean Paul,
Herder — über verschiedene Zweige der Kunst trefflich
theoretisirt. Aber im Übrigen paart sich ein reiches
Phantasieleben in Anschauungen, Formen oder Tönen
nur selten mit einer starken Neigung, Gründen nach-
zugehen, in der Erscheinungen Fülle das Allgemeine
zu suchen, Begriffe abzugrenzen und Probleme klar und
reinlich zu entwickeln.
Und geradezu gegensätzlich erscheint vielfach die Be-
gabung des schaffenden Künstlers zu der des Philosophen
-— auch des Ästhetikers. Die philosophische Ästhetik ist
in erster Linie Wissenschaft. Jhre Bearbeitung setzt
in erster Linie die Fähigkeiten des Wissenschaftlers vor-
aus: bedeutende Schulung im abstrakten und systematischen
Denken, sowie Fachkenntnisse anf psychologischem, physio-
logischen, physikalischen, mathematischen Gebiete. Je mehr
sich der Philosoph mit den ersten Prinzipien befaßt, um
so mehr wird er sogar des eigentlichen Kennertums ent-
raten können. Einzelheiten und Feinheiten, die den
Künstler beschäftigen und entzücken, werden dort uicht
in Frage kommen, wo man sich noch mit den Elementar-
fragen herumschlägt. Und umgekehrt wird das, was
dem Künstler als das Selbstverständlichste der Welt
M Micle M