Lweites Oovemberbett 1894.
4. Dett.
Lrscheint
Derausgeber:
Frnümünü Zvensnilis.
BetzeUxreis:
Vierteljährlich 2^/s Mark.
S. Zabrg.
Dans Lacbs.
Lin Dacblvort.
^ie festesfrohen Tage des vierhnndertjährigen
Hans Sachs-Jubiläums sind verrauscht. Aller
Orten, wo Kunst und Literatur eine Stätte
findet, hat man sich mit einmütigem, rühren-
den Eifer bemüht, sich außerhalb des Bannkreises des
Dichterwortes zu stellen, das in den Froschpfuhl all'
das Volk verbannt, das seinen Meister je verkannt.
Man darf sagen, das deutsche Bolk hat sich durch die
Hans Sachs-Feier geehrt, weil es sich dankbar und treu
bewiesen hat. Der Eindruck der Feier mag auch augen-
blicklich ein tiefer gewesen sein; die Frische und Un-
mittelbarkeit, mit der das vor mehr als drei Jahr-
hunderten geschriebene Wortwirkte, überraschte und steigerte
die Aufmerksamkeit. Jn diesem Sinne haben die Auf-
führungen dramatischer Spiele des Meisters gewiß am
nachdrücklichsten gefruchtet. Es kann daher wohl ange-
nommen werden, daß die Teilnahme für die in be-
quemen Erneuerungen und handlichen Originalausgaben
jetzt so leicht zugänglichen Werke des Nürnberger Volks-
dichters dauernd gekräftigt worden ist, ein Erfolg, der
nur zu wünschen wäre.
Steht es aber zu erwarten, daß dieser Erfolg über
die Grenzen des literargeschichtlicheu Jnteresses hinaus
fruchtbringend wird, daß die Freude an dem Merk-
würdigen und Altertümlichen sich zu einem künstlerischen
Behagen an der Formengebung, an dem Geiste Sachs-
ischer Dichtung vertiefe, das auf die gegenwärtige dich-
terisch schaffende Thätigkeit Einfluß gewinneu kann? Um
diese Frage zu beantworten, wird man zuvor prüfen
müssen, welcher Reiz auf den modernen Leser des Hans
Sachs stärker wirkt, der auf dem Wege geschichtlicher
Betrachtungsweise fich bewegende oder der unmittelbar
Geist und Herz berührende. Jst das antiquarrsche Jn-
teresie mächtiger als das künstlerische? Bejahen wir
die erstere Frage, so sagen wir damit: Hans Sachs
als Künstler steht der Gegenwart fern, er ist eine über-
holte Größe und hat uns wesentlich nahe Berührendes,
tief Ergreifendes nicht mehr zu s agen. Selbst das unsere
Teilnahme steigernde Moment, daß die Zeit, deren her-
vorragendster dichterischer Vertreter er ist, zu der unseren
durch die Ähnlichkeit der Wandlungen auf geistigem und
sozialen Gebiete eine Reihe bedeutsamer Anknüpfungs-
punkte bietet, würde weit mehr auf Rechuung des Jn-
haltes als aus die der künstlerischen Art des Dichters
zu setzen sein. Derartige Vergleichsmomente würden für
verschiedene Zeitgenossen des Nürnberger Meisters mit
derselben Kraft sprechen und keineswegs die Ausnahme-
stellung rechtsertigen, die man ihm anweist. Zudem
liegen solche Momente nicht so leicht greifbar da, daß
sie jedem in die Augen sprängeu. Hans Sachsens Werke
blieben aber nach wie vor ein Feld der Forscher, der
Historiker, der Philologen, der Liebhaber, gewiß ein
weites Feld, aber umgrenzt von einem stattlichen Zaune.
Zum Glück ist dem nicht so. Als Goethe, dessen Ver-
dienst um die gerechte Würdigung und Neubelebung des
Hans Sachs durch die volkstümliche Darstellung Richard
Wagners nicht im geringsten geschmälert wird, von der
Nachwelt sprach, die dem Dichter den Eichkranz auf
4. Dett.
Lrscheint
Derausgeber:
Frnümünü Zvensnilis.
BetzeUxreis:
Vierteljährlich 2^/s Mark.
S. Zabrg.
Dans Lacbs.
Lin Dacblvort.
^ie festesfrohen Tage des vierhnndertjährigen
Hans Sachs-Jubiläums sind verrauscht. Aller
Orten, wo Kunst und Literatur eine Stätte
findet, hat man sich mit einmütigem, rühren-
den Eifer bemüht, sich außerhalb des Bannkreises des
Dichterwortes zu stellen, das in den Froschpfuhl all'
das Volk verbannt, das seinen Meister je verkannt.
Man darf sagen, das deutsche Bolk hat sich durch die
Hans Sachs-Feier geehrt, weil es sich dankbar und treu
bewiesen hat. Der Eindruck der Feier mag auch augen-
blicklich ein tiefer gewesen sein; die Frische und Un-
mittelbarkeit, mit der das vor mehr als drei Jahr-
hunderten geschriebene Wortwirkte, überraschte und steigerte
die Aufmerksamkeit. Jn diesem Sinne haben die Auf-
führungen dramatischer Spiele des Meisters gewiß am
nachdrücklichsten gefruchtet. Es kann daher wohl ange-
nommen werden, daß die Teilnahme für die in be-
quemen Erneuerungen und handlichen Originalausgaben
jetzt so leicht zugänglichen Werke des Nürnberger Volks-
dichters dauernd gekräftigt worden ist, ein Erfolg, der
nur zu wünschen wäre.
Steht es aber zu erwarten, daß dieser Erfolg über
die Grenzen des literargeschichtlicheu Jnteresses hinaus
fruchtbringend wird, daß die Freude an dem Merk-
würdigen und Altertümlichen sich zu einem künstlerischen
Behagen an der Formengebung, an dem Geiste Sachs-
ischer Dichtung vertiefe, das auf die gegenwärtige dich-
terisch schaffende Thätigkeit Einfluß gewinneu kann? Um
diese Frage zu beantworten, wird man zuvor prüfen
müssen, welcher Reiz auf den modernen Leser des Hans
Sachs stärker wirkt, der auf dem Wege geschichtlicher
Betrachtungsweise fich bewegende oder der unmittelbar
Geist und Herz berührende. Jst das antiquarrsche Jn-
teresie mächtiger als das künstlerische? Bejahen wir
die erstere Frage, so sagen wir damit: Hans Sachs
als Künstler steht der Gegenwart fern, er ist eine über-
holte Größe und hat uns wesentlich nahe Berührendes,
tief Ergreifendes nicht mehr zu s agen. Selbst das unsere
Teilnahme steigernde Moment, daß die Zeit, deren her-
vorragendster dichterischer Vertreter er ist, zu der unseren
durch die Ähnlichkeit der Wandlungen auf geistigem und
sozialen Gebiete eine Reihe bedeutsamer Anknüpfungs-
punkte bietet, würde weit mehr auf Rechuung des Jn-
haltes als aus die der künstlerischen Art des Dichters
zu setzen sein. Derartige Vergleichsmomente würden für
verschiedene Zeitgenossen des Nürnberger Meisters mit
derselben Kraft sprechen und keineswegs die Ausnahme-
stellung rechtsertigen, die man ihm anweist. Zudem
liegen solche Momente nicht so leicht greifbar da, daß
sie jedem in die Augen sprängeu. Hans Sachsens Werke
blieben aber nach wie vor ein Feld der Forscher, der
Historiker, der Philologen, der Liebhaber, gewiß ein
weites Feld, aber umgrenzt von einem stattlichen Zaune.
Zum Glück ist dem nicht so. Als Goethe, dessen Ver-
dienst um die gerechte Würdigung und Neubelebung des
Hans Sachs durch die volkstümliche Darstellung Richard
Wagners nicht im geringsten geschmälert wird, von der
Nachwelt sprach, die dem Dichter den Eichkranz auf