Lvveites Aanuarbett 1S95.
L>vei Generationen.
u meinen Füßen rauschte das Meer. Jch
saß aus einem Stein am Strande des kleinen
Ostseebades, sah hinans auf die Wellen,
und in mein Träumen tönte ihr Rauschen.
Sie ranschten das Lied des Heimwehs und die Jrr-
fahrten des Odyssens, sie rauschten von dem Fischer,
den es hinabzog in die tiesen Fluten, sie rauschten
melancholisch die Weisen Lord Byrons, und durch ihr
schwermütiges Rauschen hindurch klang es wie helles,
übermütiges Kichern: Heines Dithyramben von der
See. Aber das alles zog doch nur fremd und flüchtig
an mir vorüber. Die Wellen rauschten mir mein
Lied, das Lied von dem, was i ch durchlebt und ich ge-
fühlt hatte.
Es ist init dem Menschen, wie mit dem Meeres-
rauschen. Nnser ganz persönlich Selbsterlebtes gibt
uns das Leben zurück. Wir sahen das Leben in der
Beleuchtnng, die uns unsere Schicksale, unser Jch aus-
zwingt. Und wer es so persönlich lebendig gestalten
kann, der, und nur der, gilt uns als Künstler.
Man spricht soviel von Weltanschauung in der
Kunst! Bon Lessings Zeit bis hinauf in die aller-
jüngsten Tage hat man darüber gestritten, ob der
Künstler erziehlich wirken solle oder nicht. Jahrhun-
dertelang hat man die Ethik der Dichter gesiebt und ihr
Verhältnis zur Religion geprüft. Man hat die einen
ihrer Weltanschauung halber gepriesen und über andere
eben deshalb den Stab gebrochen. Man hat Literatur-
geschichten von ckiristlichem und antichristlichem Stand-
pnnkte ans geschrieben, nnd doch, wie gleichgiltig war
das alles für die Entwicklung der Kunst!
Man sollte mehr von Menschenanschauung in der
Knnst reden, weil sie Ergebnis und Summe all unserer
Lebenserfahrung ist. Weil unser gesamtes Sein in
dem zum Ausdruck kommt, was wir im Menschen er-
blicken und weil der Künstler hier das Wesenhafte seiner
Persönlichkeit gibt, wenn anders er eine Persönlichkeit
ist. Darnm haben die Gestalten großer Künstler soviel
Familienähnlichkeit. Ein lnstiger Zug um den Mund,
eine schmerzliche Falte anf der Stirn, ein listiges
Zwinkern um die Augen — man erkennt sie als Kinder
eines Vaters. Und ihr Erkennungszeichen ist das
Symbol der Weisheit ihres Erzengers.
Hier und nirgendwo anders liegt die Grenzmarke,
welche das Schaffen unseres älteren Geschlechtes vou
dem des jüngeren trennt. Den Gestalten der Jüngeren
fehlt dies Zeichen — oftmals ein Kainszeichen! —
das aber doch ein scce borao in der Kunst bedeutet.
Unser älteres Geschlecht ist ein altes Geschlecht
geworden, und vielen ist die rechte Schasfenskraft ver-
loren gegangen. Aber ich denke an Paul Heyse, und
wenn seine Gestalten auch schemenhafter geworden sind,
sie tragen noch ihren Familienzug, ihr freies, vor-
nehmes Menschentnm, ihre etwas verzürtelte Leiden-
schastlichkeit bei antiker, sinnenfroher Gennßfähigkeit.
Und neben ihnen Wilbrandts Menschen. Die vor-
nehmen, kühlen Natnren mit dem Heinnveh nach Welt-
abgeschlossenheit und Ruhc, mit dem starken Bildungs-
drange nnd mit dem eigentümlich vornehm gewühren-
lassenden Lächeln.
Soviele nnserer „Alten" haben lächeln gelernt!
Und es ist bei jedem ein anderes Lächeln. Es ist ein
L>vei Generationen.
u meinen Füßen rauschte das Meer. Jch
saß aus einem Stein am Strande des kleinen
Ostseebades, sah hinans auf die Wellen,
und in mein Träumen tönte ihr Rauschen.
Sie ranschten das Lied des Heimwehs und die Jrr-
fahrten des Odyssens, sie rauschten von dem Fischer,
den es hinabzog in die tiesen Fluten, sie rauschten
melancholisch die Weisen Lord Byrons, und durch ihr
schwermütiges Rauschen hindurch klang es wie helles,
übermütiges Kichern: Heines Dithyramben von der
See. Aber das alles zog doch nur fremd und flüchtig
an mir vorüber. Die Wellen rauschten mir mein
Lied, das Lied von dem, was i ch durchlebt und ich ge-
fühlt hatte.
Es ist init dem Menschen, wie mit dem Meeres-
rauschen. Nnser ganz persönlich Selbsterlebtes gibt
uns das Leben zurück. Wir sahen das Leben in der
Beleuchtnng, die uns unsere Schicksale, unser Jch aus-
zwingt. Und wer es so persönlich lebendig gestalten
kann, der, und nur der, gilt uns als Künstler.
Man spricht soviel von Weltanschauung in der
Kunst! Bon Lessings Zeit bis hinauf in die aller-
jüngsten Tage hat man darüber gestritten, ob der
Künstler erziehlich wirken solle oder nicht. Jahrhun-
dertelang hat man die Ethik der Dichter gesiebt und ihr
Verhältnis zur Religion geprüft. Man hat die einen
ihrer Weltanschauung halber gepriesen und über andere
eben deshalb den Stab gebrochen. Man hat Literatur-
geschichten von ckiristlichem und antichristlichem Stand-
pnnkte ans geschrieben, nnd doch, wie gleichgiltig war
das alles für die Entwicklung der Kunst!
Man sollte mehr von Menschenanschauung in der
Knnst reden, weil sie Ergebnis und Summe all unserer
Lebenserfahrung ist. Weil unser gesamtes Sein in
dem zum Ausdruck kommt, was wir im Menschen er-
blicken und weil der Künstler hier das Wesenhafte seiner
Persönlichkeit gibt, wenn anders er eine Persönlichkeit
ist. Darnm haben die Gestalten großer Künstler soviel
Familienähnlichkeit. Ein lnstiger Zug um den Mund,
eine schmerzliche Falte anf der Stirn, ein listiges
Zwinkern um die Augen — man erkennt sie als Kinder
eines Vaters. Und ihr Erkennungszeichen ist das
Symbol der Weisheit ihres Erzengers.
Hier und nirgendwo anders liegt die Grenzmarke,
welche das Schaffen unseres älteren Geschlechtes vou
dem des jüngeren trennt. Den Gestalten der Jüngeren
fehlt dies Zeichen — oftmals ein Kainszeichen! —
das aber doch ein scce borao in der Kunst bedeutet.
Unser älteres Geschlecht ist ein altes Geschlecht
geworden, und vielen ist die rechte Schasfenskraft ver-
loren gegangen. Aber ich denke an Paul Heyse, und
wenn seine Gestalten auch schemenhafter geworden sind,
sie tragen noch ihren Familienzug, ihr freies, vor-
nehmes Menschentnm, ihre etwas verzürtelte Leiden-
schastlichkeit bei antiker, sinnenfroher Gennßfähigkeit.
Und neben ihnen Wilbrandts Menschen. Die vor-
nehmen, kühlen Natnren mit dem Heinnveh nach Welt-
abgeschlossenheit und Ruhc, mit dem starken Bildungs-
drange nnd mit dem eigentümlich vornehm gewühren-
lassenden Lächeln.
Soviele nnserer „Alten" haben lächeln gelernt!
Und es ist bei jedem ein anderes Lächeln. Es ist ein