Lrltes /IKärzbelr 1895.
u. Dett.
Lrscheint
Derausgeber:
FcNÜMüNÜ ÄOLNSMN8.
Bestellxreis:
^ Oierkeljäbrlich 2^/z Mark.
S. Zrilirg.
Deuer Mlein und
st nicht seit fünfundzwanzig Jahren genug
und übergenug von der „Kunst im Hanse"
geredet und geschrieben worden? Und haben
die Anregungen und Vorschläge nicht einen
gänzlichen Umschwung der Architektnr und Hansein-
richtung znr Folge gehabt? Gewiß. Aber wieder, wie
nm f870, stehen wir vor einem Scheidewege, nnd da
wird es nötig, aufs neue nach den Landmarken aus-
zuspähen.
Es ist eine alte Erfahrung, daß eine Gefchmacks-
richtnng etwa ein Menschenalter, alfo zwanzig bis
dreißig Jahre, vorhält. Das ist der Zeitraum, der
dem Manne zu fchaffen vergönnt ist. Dann kommt ein
neuer Geschmack, der in allen Pnnkten dem vorher-
gehenden entgegcngesetzt zn fein pflegt. Soweit der
Pendel nach links geflogen, fchwingt er nach rechts
zurück.
Viele von uns erinnern sich der „'guten Stnbe"
vor f870. Eine Fülle von Licht ergoß fich dnrch die
ulte Lcklüucke?
klaren Gardinen über die Mahagonimöbel mit ihren
schwarzen Bezügen uud den weißen „Antimacasfar"
darauf, über die Knpferstiche an den Wänden, den
mageren kleinen Teppich unter dem ovalen Sophatisch
mit seinen Albums und Prachtwerken. Der Haupt-
schmnck war die Sauberkeit, und die Poesie der großen
Jahres- und Familienfeste durchwehte den Ranm.
Dann kam der Auffchwnug nach f870. Wir
traten das politische und wirtschaftliche Erbe der Ar-
beit von Generationen an, und wie wir uns politisch
auf eigene Füße gestellt hatten, fo wollten wir auch iu
der Architektur nnd in der Jndnftrie uns vom Einflnß
des Auslandes frei machen. Nicht ans Frankreich oder
England wollten wir die Vorbilder holen, sondern aus
unserer eigenen Vergangenheit. Die Erkenutnis, daß
auch nnser Volk znr Reformationszeit von der künst-
lerischen Bewegnng der Renaissance gepackt worden, war
von Forschern nnd Architekten eben erst gewonnen. Das
gab die Parole: Deutfche Renaissance.
Z Was im Folgendeu niedergeschneben ist, hat der treff-
liche Direktor der Hambnrgischen Kunsthalle zunächst in einem
Vortrage in der Hansaftadt gesprochen. Dann ist der Vortrag
in einer Hamburgischen Zeitung gedrnckt worden. Für den Ab-
druck bei uns hat ihn aber Lichtwark so wesentlich überarbeitet
nnd erweitert, daß unser Aufsatz auch für die wenigen nnsrer
Leser, denen etwa jene Zeitung zu Händen gekommen ist, des
dteuen genug enthalten dürfte. Lichtwark geht Vvn Hamburgischen
Verhältnissen aus rnrd komnrt anr Schlusse nrit nnmittelbareir
Nutzarrwendungen anf solche zurück — wir haben den Herrn
Verfasser hier nicht nm Änderungen ersucht, weil uns gerade
diese Auwendungen auf einen besondern Fall sehr lehrreich auch
sür airdere Fälle erschienen. Kw.-L.
Juuerhalb eiues Jahrzehuts hatte die damals ueue
Richtuug ihr Ziel erreicht. Das typische Wohuzimmer
von f880 war iu alleu Teileu ein Gegensatz zn der
„guten Stube", in der f870 die heimkehrenden Krieger
gefeiert waren. Die Fenfter blieben auch im Sommer
mit schweren dicken Gardinen verhängt. Durch bunte
oder trübe Scheiben drang fpärliches Licht. Statt des
ansländischen Mahagoniholzes herrfchte unumschränkt
das heimische Eichenholz nnd statt der glatten Formen
die reichste Schnitzerei. Der Ornameutrausch hatte das
deutsche Volk erfaßt, eine Freude an üppigem Schmuck,
u. Dett.
Lrscheint
Derausgeber:
FcNÜMüNÜ ÄOLNSMN8.
Bestellxreis:
^ Oierkeljäbrlich 2^/z Mark.
S. Zrilirg.
Deuer Mlein und
st nicht seit fünfundzwanzig Jahren genug
und übergenug von der „Kunst im Hanse"
geredet und geschrieben worden? Und haben
die Anregungen und Vorschläge nicht einen
gänzlichen Umschwung der Architektnr und Hansein-
richtung znr Folge gehabt? Gewiß. Aber wieder, wie
nm f870, stehen wir vor einem Scheidewege, nnd da
wird es nötig, aufs neue nach den Landmarken aus-
zuspähen.
Es ist eine alte Erfahrung, daß eine Gefchmacks-
richtnng etwa ein Menschenalter, alfo zwanzig bis
dreißig Jahre, vorhält. Das ist der Zeitraum, der
dem Manne zu fchaffen vergönnt ist. Dann kommt ein
neuer Geschmack, der in allen Pnnkten dem vorher-
gehenden entgegcngesetzt zn fein pflegt. Soweit der
Pendel nach links geflogen, fchwingt er nach rechts
zurück.
Viele von uns erinnern sich der „'guten Stnbe"
vor f870. Eine Fülle von Licht ergoß fich dnrch die
ulte Lcklüucke?
klaren Gardinen über die Mahagonimöbel mit ihren
schwarzen Bezügen uud den weißen „Antimacasfar"
darauf, über die Knpferstiche an den Wänden, den
mageren kleinen Teppich unter dem ovalen Sophatisch
mit seinen Albums und Prachtwerken. Der Haupt-
schmnck war die Sauberkeit, und die Poesie der großen
Jahres- und Familienfeste durchwehte den Ranm.
Dann kam der Auffchwnug nach f870. Wir
traten das politische und wirtschaftliche Erbe der Ar-
beit von Generationen an, und wie wir uns politisch
auf eigene Füße gestellt hatten, fo wollten wir auch iu
der Architektur nnd in der Jndnftrie uns vom Einflnß
des Auslandes frei machen. Nicht ans Frankreich oder
England wollten wir die Vorbilder holen, sondern aus
unserer eigenen Vergangenheit. Die Erkenutnis, daß
auch nnser Volk znr Reformationszeit von der künst-
lerischen Bewegnng der Renaissance gepackt worden, war
von Forschern nnd Architekten eben erst gewonnen. Das
gab die Parole: Deutfche Renaissance.
Z Was im Folgendeu niedergeschneben ist, hat der treff-
liche Direktor der Hambnrgischen Kunsthalle zunächst in einem
Vortrage in der Hansaftadt gesprochen. Dann ist der Vortrag
in einer Hamburgischen Zeitung gedrnckt worden. Für den Ab-
druck bei uns hat ihn aber Lichtwark so wesentlich überarbeitet
nnd erweitert, daß unser Aufsatz auch für die wenigen nnsrer
Leser, denen etwa jene Zeitung zu Händen gekommen ist, des
dteuen genug enthalten dürfte. Lichtwark geht Vvn Hamburgischen
Verhältnissen aus rnrd komnrt anr Schlusse nrit nnmittelbareir
Nutzarrwendungen anf solche zurück — wir haben den Herrn
Verfasser hier nicht nm Änderungen ersucht, weil uns gerade
diese Auwendungen auf einen besondern Fall sehr lehrreich auch
sür airdere Fälle erschienen. Kw.-L.
Juuerhalb eiues Jahrzehuts hatte die damals ueue
Richtuug ihr Ziel erreicht. Das typische Wohuzimmer
von f880 war iu alleu Teileu ein Gegensatz zn der
„guten Stube", in der f870 die heimkehrenden Krieger
gefeiert waren. Die Fenfter blieben auch im Sommer
mit schweren dicken Gardinen verhängt. Durch bunte
oder trübe Scheiben drang fpärliches Licht. Statt des
ansländischen Mahagoniholzes herrfchte unumschränkt
das heimische Eichenholz nnd statt der glatten Formen
die reichste Schnitzerei. Der Ornameutrausch hatte das
deutsche Volk erfaßt, eine Freude an üppigem Schmuck,