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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 11
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11729#0182

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und besinmmgslos auf dem Boden liegt, wmde wiederholt,
ebenso erregte das Finale des Aktes Begeisterilng beim Pnblikmn.

Kühler verhalt sich die Mailänder Presse, wenngleich auch
sie selbstverständlich sehr viel anzuerkennen weis;. Die „Perseve-
ranza" sindet, das; die Oper einen Mnsiker zeige, „der mit
scharfcm Blick cincn neuen Weg in der Kunst sncht." Die
„Lega Lombarda" meldet einen Erfolg, der zwar nicht kolossal
aber ernsthnft wäre und nicht dnrch die Aufdringlichkeit einer
Klaque gestört, die dem Komponisten oft so gefährlich würde.
Der „Corriere della Sera" erklürt, das; der „Ratelifs" „germg
in sich trägt", „um gegenüber der Üngewißheit der Pergangcnheit
die künstlerische Kraft Maseagnis festzustellen." Der „Cvrriere
del Mattino" hebt hervor, das; Maseagni mit seiner Oper,
namentlich dem zweiten Akte, ein anderes Publilnm erobert hat,
als das ihm bm zetzt zugewendcte: das musikalische; er Habe
diesmal den mnsikalischen dlusdrnck für das Drama gesucht,
ohne sich bei dem Konventionellen anszuhalten. ?lnch die
„Jtalia del Popolo" sieht in dem zweiten Akte das beste, was
Mascagni bis jetzt geschaffen hat. Der „Secolo", das Organ
Sonzognos, stößt natürlich mit Posaunendem Trara in die Rnhmes-
trompetc: „Ein gewaltiger Komponist, ein Opernschreiber aller-
ersten Ranges, dem das Pnbliknm die Ehre eines Tnmnphes
znerkannt hat!" Die „Sera", das gehaltvollste Blatt Mailands,
befleißigt sich einer objektiven Betrachtung. Sie stellt fest, daß
der charakteristische Zng der Musik Macn-agnis sich anch im
„Ratcliff" nicht verleugnet. Der musikalische Charakter sei
immer klar und mit einer gewissen Breitheit der Phrase aus-
gedrückt. Die Musik im ganzen bezeige ein F-ortschritt des
jungen Meisters, die Ausführung sei vortrefslich gewesen. Ge-
glänzt dnrch Kraft nnd Ausdaner habe vor allem der
Tenorist de Negri, und auf ihn sei der Erfolg im
ganzen und großen zurückzuführen. „Die Frage aber ist
gegenüber den nnglanblichen Airfordcrnngen der klivlle, ob noch
viele andere Tenoristen sich in Ehren mit ihr abfinden werden."

Mldende Iküntte.

^ Für unlere Gräberplattik regt H. E. Wallsee
in den „Hamburger Nachrichten" an, was auch schon andere
angeregt haben: eine Gestaltung mit reicheren Erinnernngen
an das wirkliche Leben. Er kniipft seine Ratschläge an ein
neues Werk, das in Hamburg ausgestellt war: „Seit einiger
Zeit ist in dem linken Eckparterre der Knnsthalle eine aus Bronze
ansgeführte Kindergruppc ausgestellt, die für ein Grabmal auf
dem Ohlsdorser Friedhos bestimmt ist. Die Grnppe stellt ein
Mädchen und einen Knaben vor, die, enge aneinander geschmiegt,
vor einem Ziel angelangt scheinen, das sie ihre Schritte zögernd
verlangsamen läßt. Der Knabe, der kleinere von den beiden,
blickt nengierig und doch mit leiser Scheu vor sich. Er weiß
das Ziel, doch er kennt nicht seine volle Bedentnng. Seine
jnnge Seele ist noch unberührt von der Erkenntnis dessen, was
es heißt, eingegangen sein in den Bezirk, von wannen kein
Wanderer wiederkehrt. Gleichwohl bedars es der sachke schiebenden
Hand der älteren Schwester, die ihren Arm um seinen Hals,
ihre Hand aus seine Schnlter gelegt hat, nm ihn zum Vorwärts-
gehen und lvahrscheinlich auch zum Niederlegefl der beiden Kränze
zn bestimmen, deren er je einen anf dem rechten Arm und in
der linken Hand halt. Das Mädchen hingegen, etwa zwölf-
jührig gedacht, ist sich des ganzen Ernstes des Wcges, den sie
wandelt, voll bewußt. Jhr Kopf ist leicht gegen die Brnst ge-
neigt, die Wehmnt des Erinnerns breitet einen verklärenden
Abglanz über ihre Züge. Jhre rechke Hand, vorgestreckt, hält
einen Blumenstrans;, die Finger, die um die Blnmen gelegt
sind, schcinen bereit, sich auszuthun, um mit den fallenden Kindern
des Gartens und des Feldes den letzten Grns; des Lebens dem

Entschlafenen ins dnnkle Jenseits nachznsenden. Die Kinder
tragen in allem, in Klcid, Haltung und Gesichtsschnitt den
Habitns des Volkes. Es ist von der Schwere und leisen Ge-
drückthcit des Arme Lente-Kindes in ihncn. Dcr Berstorbene,
dessen Grab diese Gruppe zn schmückeii bestimmt ist, war ein
werkkhütiger Freund der Waisen. Und darnm auch sind die
fiir scin Grab bestimmten Fignren in ihren Vorbildern mit
frischem Gnff diesen Krcisen entnvmmen.

Wir sehen somit hier in einem Gedächtniswerke, das die
Liebe über dem Grabe errichtet, den Künstler an einen Teil der
Lebensthätigkeit des Verstorbenen anknüpfen, in dem, danernder
als in den Werken seiner bernslichen Thätigkeit, sein Andenken
Aussicht hat, fortznleben. Das ist neu bei uns. Denn im all-
gemeinen, wenn überhanpt ein plastisches Grabdenkmal in Frage
kommt, geht bei uiw ein solches Werk über die 9lllegorie nicht
hinaus. Wir müssen nach dem Süden, nach Jtalien gehen, nm
Grabmäler zu finden, in denen mit der Schablone gebrochen ist
und in plastischer Darstellnng auf die bürgerlichen Tngenden
eines Vorfahrs in einer aller Welt sichtbaren nnd verständlichen
Weise hingewiesen wird. Und dvch thäte die Pflege eines solchen
gemütbildenden Gräberkults gerade in nnserer Zeit allerwärts
not. Wie viel bnngen wir mit, wenn wir einen Friedhof be
suchen und wie wenig iiehmen wir mit, wenn wir von dort
wieder nachhanse zurückkehren. Das konimt daher*), weil die anf
Kreuz und Stein eingemeißelten Namen allein, mit der Angabe
des Gebnrts- nnd Sterbejahres, selbst wenn sie in Verbindnng
mit einem srommen Sprnche auftreten, nichts sagen, weil sie
vielmehr ermüdend wirken. Und das nicht nur auf den fremden
Besucher. Selbst dem im zweiten und dritten Glicde der Ber-
wandtschaft stehenden Angehörigen eines Verstorbenen wird es
bald schwer, seine Gedanken andanernd pietätvoll zn jenem hin
znleiten, wenn erst der erste Schmerz verrancht, die Anpassung
an nene Menschen und in eine nene Umgebnng in ihr Recht
getreten und nichts ist, was ihn gemahnt, daß der Verstorbene
nicht umsonst gelebt hat. Wir langen mit fiebernden Händen
nach allem, von dem wir vermeinen, es könne geeignet sein,
nnseren geistigen Besitzstand zn mehren. Der Stütte aber, wo
am meisten zn lernen ware, unseren Begräbnisorten, wenden
wir so gut wie keine Beachtung zu, hier stehen wir heute auf
demselben Standpunkt, wo ivir vor Jahrhunderten gestanden
haben. Man wird einwenden, daß nicht jeder in der Lage ist,
seinen teuren Abgeschiedenen ein kostspieliges Denkmal zu , er-
richten. Wohl; doch wie viele, denen die Mittel zn einem
größeren Denkmal fehlen, könnten, vhne große materielle Opfer,
in reliefartigen Darstellnngen, die in einfachen Steinplatten
leicht einzulassen wären, verdienstvolle Thaten aus dem Thun
und dem Leben eines Vorfahrs für lange hin in der Erinne
rung seiner Nachfolger erhalten nnd so dazn beitragen, den Sinn
für die Achtung bürgerlicher Tugenden neu zu beleben, der in
unserer Zeit so stark im Niedergange ist. Wir leben nach dieser
Seite hin in einem Zustand einer merkwürdigen Befangenheit,
der sich'von dem der Orientalen in der gleichen Sache eigent-
lich nur dadurch unterscheidet, daß wir nnsere Toten unter einem
Blumenregen der Erde übergeben, wührend die Orientalen kleine
Steine auf die Gräber ihrer Lieben legen. Und doch wird es
nnter nns keinen geben, dessen Herz nicht höher schlüge beim
Anblick irgend einer bildlichen Darstellnng oder einer Schilde
rnng, die irgend einen Vorgang, ein Verdienst aus dem Leben
irgend eines Vorfahrs zum Gegenstande hat, oder der den in
einer solchen Darstellnng gelegten vorbildlichen Wert bestreiten
würde."

*) Aber auch noch von andern Gründen. Vgl. den Aufsatz
„Friedhöfe nnd Friedenshaine", lsvv. VI. 2-1.
 
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