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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 12
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11729#0197

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ausginge. Alles schr treu, sehr geschickt, — aber eigeutlich
atkes Hekuba fiir uus, ohne eiue ,,strikin§ note"; wir seheu's
uud vergesseu's. Mit Uuterjchied uatürlich: seiue pariserisch
augehauchteu Dameu im Straßenkastüm hatlen Vvn je pikauteu
Neiz, uud das erwähnte Nachtbild eiuer kleiustädtischeu Straße
ist — abgesehen vvu der, wie mir scheint, recht gemachteu
Phautastik der weiblichen Figur — voll Vvn der eigenartigeu
Stimmuug der Dämmeruugsstuude. i)lber viekes Andere wirkt
doch daun wieder gauz gleichgiltig; und auch die nüchtlicheu
Leleuchtuugsstudien in deu Gruftgewvlben der Garnisonskirche
— was bedeuten sie denn für uus, als Mauern, Särge und
Handlaterueu, weuu sie uus nicht vou dem Geheimnisse und
dem Schauder ,,dort im Gewölb in mitteruächt'ger Stuude"
einen Hauch verspüreu lasseu! Wie gesagt: Skarbina macht
ebeu alkes, uud das ist eiu bischen viel für eiuen Menscheu,
möchte ich glaubeu.

An der Spitze der ,,Xl" steheu jetzt sie, die am reichsteu
au Phantasie sind, uud am kühusten darin, sie zu üußern.
Alle sreikich überragt weit Max Klinger. Die audereu
sucheu uud versucheu, tresfeu hier ius Schwarze und greifeu dvrt
arg dauebeu; er ist reif und reich, uud mit iuuerer Notweu-
digkeit entquillt seiue Kuust eiuem festgegliederten Leben, das
leicht uud zwanglos seiue Ausdrucksformen fiudet. Nebeu
Kliugers Werkeu erscheinen die der andern uüe tauzende, auf
deu Wekkeu unsicher schwankende Boote uebeu eiuem festen,
veraukerten großen Schiffe. Leichte, slüchtige, wechselude
Eiudrücke spiegelu sich meist iu ihueu, uud nur ausnahmsweise
gclingt es dem eineu oder anderen, sie zu verdichteu zum
kleiueu Abbitde der großeu Welt; aber das Ewige und über
alle Formeu Erhabene spricht aus Kkiugers SchöPfuugen. Er
hat diesmak seiue ,,Kassandra" gebracht, sein zweites polpchrv-
mes Bildwerk, iu der Behandtung der ,,Lalome" durchaus
gleichartig. Was an diejem Werke so ganz überwältigend
wirkt, das ist vor allem der Blick, mit dem die eruste Frau
auf das Treibeu um sich hinschaut, desseu Nichtigkeit sie mit
uuerbiltlicher Klarheit erkennt. Ein Bkick, das Nächste uud
das Feruste zusammeufasseud, eiu Blick so voll schwermuts-
vvller Trauer, voll tragischer Entsaguug, daß er das Schicksak
der Seheriu und das der bliudeu Meuschheit in Einem spiegelt:
bethörtes Dahiuleben und vergebliches Erkenuen, Tag und
Ewigkeit, Meusch uud Schicksal. So hoch bis zum Fernsteu, so
weit bis zum Ewigeu reicht dieser Blick, daß keiue Bitterkeit,
keiu Zoru, keine leideuschaftliche Regung mehr Platz hat in der
Seele der Seherin; sie isl bis zuin Eude des Erkeuneus durch-
gedrungeu, uud nur eiue tiefe uueudliche Trauer über das Un-
abwendbare spricht aus ihren Zügeu. Uud sie ist kein Schwäch-
kiug etwa vou dkatur; es sind krastvolle Züge, uud kraftvoll,
von jeder Kkeinlichkeit frei ist ihr edelgeformter Körper; unge-
beugt und hoheitsvokl geht sie dem Schicksale entgegen, das sie
keuut ....

Nuu ist Walter Leistikvw zu neuueu, der zu eiuem
der ersten unter den Berliner Küustleru heraugewachsen ist.
Diesmal hat er sich seine Motive vorwiegeud iu Dänemarks
herrlicheu Buchenwäldern gehvlt. Wer hätte es einst seiueu
märkischeu Laudschasten mit deu stilleu Wasseru angeseheu,
welche Fülle vou Phautasie iu dem Manue lebt? Er hat sich
zu eiuem Landschaftsdichter eutwickelt, desseu Phantasie vft aus
deu Erscheinuugen der Natur die bezauberudsten Feinheiteu
uud Schönheiteu der Stimmung herauszuholeu uud zu geslalten
verfteht. Jn weichen träumerischen, manchmal ein weuig weh-
mutsvolleu Töneu, die er mit leichter Hand wie sekbstverständ-
lich vorträgt, ist er am bewuudernswertesteu. Weuige versteheu
es so wie er darzustellen, wie Lust und Licht sich um die
Formeu schmiegeu, sie weich einhülleu und mit zarten Über-

gäugeu umschleieru. Eiue „Herbststimmung" von ihm ist eiu
wahrhaft großes Stück Natur und Dichtuug, voll von Em-
pfiuduug ohne Empsiudsamkeit, voll von Schöuheit ohue Pose.
Eine audere Herbststimmung ist nach meinem Gefühl blau uud
rot verkritzelt, wie überhaupt Leistikvws Arbeiteu uugleich sind
— ich glaube sast, weil seine Phantasie gar zu reich uud zu
rasch arbeitet. Und dies ist meines Erachteus auch bei Ludwig
vou Hosmaun der Fall. Er hat nicht gut gethan, seiuen
dekorativen Entwurf „das Lied an die Freunde" auszustelleu:
die dumnien Klugen spötteln dariiber, uud seiue Fteunde wissen
sich nicht damit zurschtzufiudeu, weil sie der Phantasie dieser
Erfiuduug iu der vorliegeuden ersteu Form kaum folgen köunen.
Seiu großes Bild „Frühling" ist schön; ganz Hvffmauuisch:
lindlich-zart, märcheuhaft-naiv, keck und frisch wie Frühkunst.
Uud bei diesen Eigeutümlichkeiteu scheint es mir uicht richtig,
ihm Härte der Farbeu vorzuwerfeu: mildere Farbengebung
uähme Hofmanns Werkeu schou viel vou ihrem Reize. Gauz
prächtig hat diesmat I. A lberts ausgestellt: Jnterieurs aus
deu Bauernhäuseru der Halligen, so vortrefflich iu der Raum-
behaudluug, so charakteristisch in der Erfassuug, so gemütlich iu
der Stimmung, so leuchtend in der Darstellung des Lichts, daß
dem Beschauer warm ums Herz ivird. Selbst die Buntheit
der Farbeu wirkt hier nur echt uud charakteristisch; und mit dem
Maler empfiudet mau, wie ihu diese kleiue Welt mit ihreu
stillen Reizeu immer von ueuem fesselt.

Friedrich Stahl stelkt tanzende Paare als reiue
Farbenimpressioneu mit vielem Geschmacke dar. Haus Herr-
maun bnngt Motive aus Benedig uud der Mark in feiuer,
aber etwas ängstlicher Schilderuug. S chmars-A lquists
Hamburger Hafenbilder, obivohl ganz gut, habeu mich eine
eigentümliche Physioguomie uichl erkeunen lassen. Hugo
Bogel hat allerlei Figürliches ausgestellt, sehr sauber uud
sorgfältig, aber trocken. Aus einem Waldbilde vou George
Mosson weiß ich gar nichts zu machen, währeud seiu Halb-
porträt im Jägerhabit ebenso charakteristisch uud kebendig, wie
malerisch glücklich ist.

Es ist keiu großer Schritt von deu Berlineru zu deu
Müucheuer Küustlern der „Freieu Vereiuiguug": keiu liuterschied
der Richtung oder des Zieles trennt h ier Berliu und München.
Haus Olde ist im Kraftvollen etiva das, was Leistikoiv im
Zarteu ist. Ju Oldes Bilderu ist eine Gesuudheit, eiu gäh-
reudes Lebeu, eine Jntensität der starkeu Stimmungen, die
mauchmal fast berauschend ivirkeu kanu. Olde schenkt der
Natur gar uichts; er lebt ihr Lebeu uüt reicheu Organen
voll aus, uud seiue Werke siud Hymnen der Lebensfreude, der
Kraft, der Sonue und des Lichtes. Wie die Soune bei ihm
alles durchdnngt, erleuchtet, befruchtet; wie bei ihm alles treibt
und blüht; wie er sich au deu Erscheiuungen freut! Der
„blüheude Raps am Meere" ist eiue prachtvolle Studie, die
„Sommergkut" halte ich iu ihrer schier uuerschöpflicheu Lust-
uud Lebeussülle für eiu Meisterwerk. Neben ihm ist wieder
Trübuer zu erwähuen (desseu Bildnisse mir aber sehr schwer
iu der Farbe vorkommen) und Louis Coriuth, der unter
den mvderuen Wirklichkeitsschildereru mit deu feinsten und dis-
kretesteu Siune für Naturwahrheit zeigt, und besonders eiue
Aktstudie vou warmem Lebeu gebracht hat. Eiu ueues Taleut
ist Max Slevogt. Er hat etwas vou Olde in seiuem
unbekümmerten gradeu Drauflosgehen, iu seiner derbeu Ge-
sundheit, seiner lacheudeu Kraft. Seiu „llouio sapieus" ist
imgruude eine Adam und Eva-Darstelluug, nach meiuer An-
sicht nicht ohne Fehler im einzelnen. Aber wie frisch und
keck, wie unverbildet und frohlebig steht diese Eva mit dem
uaiveu Verlangeu der Gesundheit da, ohne die Spur vou Pi-
kauterie uud Rafsiuiertheit, ganz naive Natur. Und dieser uu-
 
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