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ganze t)carrhcit dieses geistigen Gigcrltnins vvr Angen halten,
nm dcn ergriminten Rnfer iin Brcmer Ratskeller zu verstehein
Es scheint wirklich, als hätte er nicht sv ganz linrecht, wenn
er die Großstädter als Menschen dritter oder vierter Ordnnng
betrachtet wissen will. Ein Schlagivort — weiter ist cs ja
nichts; und Schlagworter übertreiben innner. Vielleicht aber
bringt inan mit solch einem Schlagwort das Reich, die Prm
vinz dazu, sich aus ihre Rechte zu besinncn und ihr künstleri
sches Urteil nicht von der Berliner Presse knebeln zu lassen."
Bulthanht sagt schließlich noch einiges über denselben Gegen-
stand, den wir in nnserem Aufsatze »Staatliche und Hofknnst«
erörtert haben: anch in dem starken Hervortreten des persön-
lichen kaiserlichen Einslnsses auf die Berliner Kunstpflege sieht
er einen Grund, ihre Wirkung aufs übrige Deutschland zn
beschränken. „Die Uniform verbleibe dem Heer — die Kunst
will Freiheit und Mannigfaltigkeit. droch erwarten wir von
dem Kaiser und den jugendlichen Sprossen seines Hanses viel
fiir Deutschlands Größe, aber der Pvesie, der Musik, den bil-
denden Kiinsten können selbst die Hohenzollern keine Gesetze vor-
schreiben. Möchten alle Berufenen das Jhre thun, die Losnng
weiter zu geben. Keine dynastische, keine Berliner, keine preußi
sche, sondern eine deutsche Kunst für Deutschland! Berlin die
Reichshauptstadt, aber die Kunsthauptstadt — nein!"
Ja, darin wären ivir nun außerhalb Berlins so ziemlich
alle einig, soweit ivirs mit der Knnst noch ernst nehmen. Aber
wie viele sind die »wir«, die das thun?
Gelegentlicb der iBlsmnrekteler macht A. Seidl
in der „Deutschen Wacht" einige sehr berechtigte Bemerkungen
über unsere Nationalfeste überhanpt. Nachdem er an einem
einzelnen Falle die allgemeineren Erscheinungen der Phrasen-
haftigkeit und der Reklame für die „Unternehmer" gekennzeichnet
hat, sährt er fort: „Zn einer würdigen und stilgerechten Ge-
staltung gehört freilich auch das leider so durchans noch zu ver-
missende Verständnis dafiir, daß ein deutsches Nationalfest nicht
immer wieder mit dem antiken griechischen Musenwortschwall,
sondern anf dentsche Art, mit Gestalten der germanischen Sage
und Geschichte begangen werden soll. Stab- und Endreim ist
unsere gute deutsche Versart; nicht der Lorbeer, die Eiche ist
das deutsche Nationalgewächs, — aus unserer Heimaterde aber
soll uns unser lebendiger Eigenstil, znmal einen Nationalhelden
zn feiern, doch stets heranswachsen und hervorblühen Was ist
nns in diesem Falle Heknba? Was sind uns alle Musen und
Klios mit griechischen Leyern und antiken Faltengewündern in
südlichen Lorbeerhainen? Zum Donnerwetter auch: der dentsch e
Götterhimmel kennt seinen Donnar mit der eisernen Hand, und
scinen Wotan mit dem Spcer der Vertragsrnnen, der deutsche
Mann seinen Siegfried mit dem selbstgeschmiedeten Schwert,
der das Fiirchten auch angesichts des gränlichen Lindwnrms
nicht lernt, das dentsche Volk seine Walküren, Nornen, Rhein
töchter nnd Alraunen, seine Freya, Fricka und die weise Ur
mutter Erda. Selbst die leidige latinisierte rGermaniar ist ja
immer nneder noch cin fremder Pfahl im eigenen Fleische, ein
fremder Tropfen, der in nnserem gesnnden Blute steckt — der-
selbe, der zn nnserem Leidlvesen auch noch in nnserem deutschen
Rechtswesen dnrch die Rezeption des römischen Rechtes fließt.
Woher tommt denn dem Dentschen dieser seiner Natur gänzlich
ungeläufige Begriff mit dem lateinischen Namen einer »Ger-
mania«? Man blicke in das Textbnch zn Alexander Ritters
sv urdeutscher köstlicher Oper »Wcm die Krone?« — hier be-
gegnen wir der Königin Fran Ute, sie ist gleichsam die Muttcr
Deutschlands. Auch das ist ja so eine Art »Germaniar ohne
fremdes Wesen und fremden Anklang, aber erst aus einer Ver-
einigung etwa von Ute und Walkiire ist jene schwertumgürtete
gekrönte weibliche Gestalt mit sliegendem Goldhaar, Brünne und
Schild, die wir leider noch immer so mißverständlich «Germania«
benamsen, in der Volksphantasie hervorgegangen. Und blicken
wir weiter in Aleyander Ritters andere prächtige Oper vom
»Faulen Hans« hinein — ist das nicht die unserem Volks-
charakter entsprechende Gestalt, haben wir denn nicht cin für
alle Mal den Typus des »deutschen Michelsr nns ausgeprägt?
Wv bleiben denn nnr alle diese Figuren bei einer solchen Feier?
Jst denn die deutsche Welt wie vernagelt, daß sie so gar nicht
wach werden kann, trotzdem der Jnnker sein Dornröschen doch
aus hundertjährigem Schlnmmer längst erweckt hat? Und heißt
es nicht einem Bismarck zn seinem Ehrentage geradezu Schmach
anthun, ihn — den gewaltigen Reichsredner vom »blinden Ur-
wähler Hödur und seinem Loki«. — in seinem Sachsenwald auf
Friedrichsruh mit dem Phrasengeklingel antiker Musentempel zu
belästigen? Man hat doch anch die Hans Sachs-Feier im ver-
gangenen Jahre nicht dnrch eine Aufführnng etwa von Corneilles
»Raciner begangen? Manchem mag dies fehr weit hergeholi
erscheinen, aber Verzeihnng, selbst auf dem Programm der
»Bismarckfeier« unseres deutschen Reformvereins am selben
Abende noch bin ich dem Jtaliener Donizetti, der gänzlich un-
dentsch und unkräftig süßlichen Musik eines Lassen und (in dem
Liede auf die »Bismarck-Rose«) einem »LKLieLu Oaross« be-
gegnet." Es kommt nicht darauf an, ob man Seidls politischen
Standpunkt teilt oder nicht, wir zitieren seine Sätze, um darauf
hinzuweisen, wie schwer es selbst den „Teutschen" unter uns
ivird, auch nur ein Fest einmal ans einem Geiste zn gestalten.
* Gescbiebtlicbe Ltotte. — Nundtcbau. — D ichtung: Schöne Literatur. — Schriften über Literatnr.
ZI I die Dorfgeschichte.— Theater: Wichtigere Schauspielanfführungen. — Mnsik: Die dentsche Kammer-
musik zu Anfang des 17. Fahrhunderts. (Schluß.) — Bilde'nde Künfte: Briefe über bildende Kunst. — Kunstblätter und
Bilderwcrke. — Vermifchtes: Berlin als Knnsthanptstndt. — Zur Bismarckfeier.
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ganze t)carrhcit dieses geistigen Gigcrltnins vvr Angen halten,
nm dcn ergriminten Rnfer iin Brcmer Ratskeller zu verstehein
Es scheint wirklich, als hätte er nicht sv ganz linrecht, wenn
er die Großstädter als Menschen dritter oder vierter Ordnnng
betrachtet wissen will. Ein Schlagivort — weiter ist cs ja
nichts; und Schlagworter übertreiben innner. Vielleicht aber
bringt inan mit solch einem Schlagwort das Reich, die Prm
vinz dazu, sich aus ihre Rechte zu besinncn und ihr künstleri
sches Urteil nicht von der Berliner Presse knebeln zu lassen."
Bulthanht sagt schließlich noch einiges über denselben Gegen-
stand, den wir in nnserem Aufsatze »Staatliche und Hofknnst«
erörtert haben: anch in dem starken Hervortreten des persön-
lichen kaiserlichen Einslnsses auf die Berliner Kunstpflege sieht
er einen Grund, ihre Wirkung aufs übrige Deutschland zn
beschränken. „Die Uniform verbleibe dem Heer — die Kunst
will Freiheit und Mannigfaltigkeit. droch erwarten wir von
dem Kaiser und den jugendlichen Sprossen seines Hanses viel
fiir Deutschlands Größe, aber der Pvesie, der Musik, den bil-
denden Kiinsten können selbst die Hohenzollern keine Gesetze vor-
schreiben. Möchten alle Berufenen das Jhre thun, die Losnng
weiter zu geben. Keine dynastische, keine Berliner, keine preußi
sche, sondern eine deutsche Kunst für Deutschland! Berlin die
Reichshauptstadt, aber die Kunsthauptstadt — nein!"
Ja, darin wären ivir nun außerhalb Berlins so ziemlich
alle einig, soweit ivirs mit der Knnst noch ernst nehmen. Aber
wie viele sind die »wir«, die das thun?
Gelegentlicb der iBlsmnrekteler macht A. Seidl
in der „Deutschen Wacht" einige sehr berechtigte Bemerkungen
über unsere Nationalfeste überhanpt. Nachdem er an einem
einzelnen Falle die allgemeineren Erscheinungen der Phrasen-
haftigkeit und der Reklame für die „Unternehmer" gekennzeichnet
hat, sährt er fort: „Zn einer würdigen und stilgerechten Ge-
staltung gehört freilich auch das leider so durchans noch zu ver-
missende Verständnis dafiir, daß ein deutsches Nationalfest nicht
immer wieder mit dem antiken griechischen Musenwortschwall,
sondern anf dentsche Art, mit Gestalten der germanischen Sage
und Geschichte begangen werden soll. Stab- und Endreim ist
unsere gute deutsche Versart; nicht der Lorbeer, die Eiche ist
das deutsche Nationalgewächs, — aus unserer Heimaterde aber
soll uns unser lebendiger Eigenstil, znmal einen Nationalhelden
zn feiern, doch stets heranswachsen und hervorblühen Was ist
nns in diesem Falle Heknba? Was sind uns alle Musen und
Klios mit griechischen Leyern und antiken Faltengewündern in
südlichen Lorbeerhainen? Zum Donnerwetter auch: der dentsch e
Götterhimmel kennt seinen Donnar mit der eisernen Hand, und
scinen Wotan mit dem Spcer der Vertragsrnnen, der deutsche
Mann seinen Siegfried mit dem selbstgeschmiedeten Schwert,
der das Fiirchten auch angesichts des gränlichen Lindwnrms
nicht lernt, das dentsche Volk seine Walküren, Nornen, Rhein
töchter nnd Alraunen, seine Freya, Fricka und die weise Ur
mutter Erda. Selbst die leidige latinisierte rGermaniar ist ja
immer nneder noch cin fremder Pfahl im eigenen Fleische, ein
fremder Tropfen, der in nnserem gesnnden Blute steckt — der-
selbe, der zn nnserem Leidlvesen auch noch in nnserem deutschen
Rechtswesen dnrch die Rezeption des römischen Rechtes fließt.
Woher tommt denn dem Dentschen dieser seiner Natur gänzlich
ungeläufige Begriff mit dem lateinischen Namen einer »Ger-
mania«? Man blicke in das Textbnch zn Alexander Ritters
sv urdeutscher köstlicher Oper »Wcm die Krone?« — hier be-
gegnen wir der Königin Fran Ute, sie ist gleichsam die Muttcr
Deutschlands. Auch das ist ja so eine Art »Germaniar ohne
fremdes Wesen und fremden Anklang, aber erst aus einer Ver-
einigung etwa von Ute und Walkiire ist jene schwertumgürtete
gekrönte weibliche Gestalt mit sliegendem Goldhaar, Brünne und
Schild, die wir leider noch immer so mißverständlich «Germania«
benamsen, in der Volksphantasie hervorgegangen. Und blicken
wir weiter in Aleyander Ritters andere prächtige Oper vom
»Faulen Hans« hinein — ist das nicht die unserem Volks-
charakter entsprechende Gestalt, haben wir denn nicht cin für
alle Mal den Typus des »deutschen Michelsr nns ausgeprägt?
Wv bleiben denn nnr alle diese Figuren bei einer solchen Feier?
Jst denn die deutsche Welt wie vernagelt, daß sie so gar nicht
wach werden kann, trotzdem der Jnnker sein Dornröschen doch
aus hundertjährigem Schlnmmer längst erweckt hat? Und heißt
es nicht einem Bismarck zn seinem Ehrentage geradezu Schmach
anthun, ihn — den gewaltigen Reichsredner vom »blinden Ur-
wähler Hödur und seinem Loki«. — in seinem Sachsenwald auf
Friedrichsruh mit dem Phrasengeklingel antiker Musentempel zu
belästigen? Man hat doch anch die Hans Sachs-Feier im ver-
gangenen Jahre nicht dnrch eine Aufführnng etwa von Corneilles
»Raciner begangen? Manchem mag dies fehr weit hergeholi
erscheinen, aber Verzeihnng, selbst auf dem Programm der
»Bismarckfeier« unseres deutschen Reformvereins am selben
Abende noch bin ich dem Jtaliener Donizetti, der gänzlich un-
dentsch und unkräftig süßlichen Musik eines Lassen und (in dem
Liede auf die »Bismarck-Rose«) einem »LKLieLu Oaross« be-
gegnet." Es kommt nicht darauf an, ob man Seidls politischen
Standpunkt teilt oder nicht, wir zitieren seine Sätze, um darauf
hinzuweisen, wie schwer es selbst den „Teutschen" unter uns
ivird, auch nur ein Fest einmal ans einem Geiste zn gestalten.
* Gescbiebtlicbe Ltotte. — Nundtcbau. — D ichtung: Schöne Literatur. — Schriften über Literatnr.
ZI I die Dorfgeschichte.— Theater: Wichtigere Schauspielanfführungen. — Mnsik: Die dentsche Kammer-
musik zu Anfang des 17. Fahrhunderts. (Schluß.) — Bilde'nde Künfte: Briefe über bildende Kunst. — Kunstblätter und
Bilderwcrke. — Vermifchtes: Berlin als Knnsthanptstndt. — Zur Bismarckfeier.
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