der überreichen Nüancenfülle der Natur treten einige
wenige „symbolische" Farbtöne, die, gleichsalls absichtlich
unrealistisch, von starken Strichen begrenzt sind: alles
wird „stilisiert". Sehen wir das Schwarzweißblatt an
mit den beiden aus dem Thron. Gar keine Frage: ihre
Haltung und znmal ihre Mieuen sind ausdrncksvoll.
Aber warnm sind sie von nnten belenchtet, als säßen
sie anf der Bühne vor den Lampen, so daß wir an
Oberländers Theaterspäße erinnert werden? Nnd wes-
halb ist alles mit schwarzen Linien eingesaßt, als
hätten wirs hier, wo überhaupt keine Farben sind,
mit einem Glasbilde zn thun, wo durch das Schwarz
der Umrahmnngen die Farben leuchtender werden?
Weshalb, serner, sind diese Pslanzen da zusammen-
gewickelt wie Spargelbündel, weshalb sind diese massiven
sormlosen Wolken gebildet, als handelte sichs um
Haeckels berühmten Urschleim-Bathybius oder auch um
Nndelteig? Warnm sehen die Sterne wie Theegebcick
aus? Weshalb, kurz gesagt, oder besser: wozu, auf
welche^Wirknngen hin diese wnnderliche „Stilisierung" ?
Je nun, sie soll Stimmung geben.
Wir denken an den größten Meister, den unsere
Phantasieknnst auszuweisen hat, an den, vor dessen
wunderbarer Vorstellungskrast wohl auch jeder der hier
vertretenen Künstler sich neigt, an Max Klinger. Wie
wir die ganze Reihe seiner Radierungen vor dem
inneren Auge vorbeiziehen lassen, finden wir doch keine
einzige, die ähnliche Erscheinungen hätte. Und doch,
wie oft hat Klinger die Stimmungen tranmhafter Mystik
erzeugt und wie oft hat er Symbolisches voll tiefer
Stimmung dargestellt! Jst ein grundsätzlicher, ein
Wesens-Unterschied zwischen seiner und etwa der ihm
verwandten Böcklinschen Kunst einerseits und anderseits
derjenigen, die hier Axel Gallen vertritt?
Daß unsere Phantasie nichts aus dem Nichts er-
schaffen kann, daß sie nur die vom Gedächtnis aus-
bewahrten Eindrücke benutzen, sie umordnen, verviel-
fältigen, verkleinern, vergrößern, vertiefen kann, weiß
jeder höhere Schüler. Wir mögen fliegen so hoch wir
wollen, von unserer Erde kommen wir nicht weg. Die
allbekannten Fabelwesen der Mythen, der Dichter und
Maler, sie sind znsammengewachsen aus Elementen, die
wir kennen. Käme ein Künstler von einem Stern aus
anderen Bedingungen des Seins, wir würden ihn auch
nicht verstehen können, denn die Gedanken- und Gefühls-
verbindungen, die Assoziationen müssen dem Schaffenden
und dem Genießenden gemeinsam sein, sollen sich beide
verständigen können.
Jn keinem der Werke Klingers nun oder Böcklins
ist auch nur der Versuch gemacht, dieses Gesetz zu durch-
brechen — einsach deshalb nicht, weil sie ans echten
Phantasieanschaunngen herausgeboren sind. Wie war
bei ihnen, aus der Erscheinung der Bilder znrückzu-
schließen, der Schaffensvorgang? Ein Stück Leben,
Natur, Kunst hat eine gewisse Stimmung erweckt, es
gilt, sie bildmüßig auszudrücken. Da wird denn die
Stimmung, wie sie der Künstler mehr nnd mehr in sich
verstärkt, zum Gestalter: sie zieht aus der unbewnßten
Vorstellungsmasse des von ihr Beherrschten dasjenige
ins Bewnßtsein, womit sie assoziiert ist, und rückt die-
jenigen Momente davon, die ihr besouders verwandt
sind, in den Bewußtseinsbrenupunkt. So ergibt sich
sich der Phantasieinhalt, der im Kunstwerk sestzuhalten
isch er ist entstanden dnrch Weiterdringen in einer ein-
zigen Richtung, durch reiue Konzentration, durch reine
Verdichtung. Da mögen denn die Farben lenchtender
oder gedämpfter werden, als sie sich von der Natnr
unmittelbar vom Nüchternen abschreiben lassen, da
mögen sich, wie wohl im Traume, zu besonders bezeich-
nenden Gestaltungen Formen vereinigen, welche die Wirk-
lichkeit nur gesondert kenut, oder die wir im Alltagssein
nicht als das aufzufassen pflegeu, als was sie hier die
gesteigerte Phautasie des Künstlers deutet. Das alles
folgt nnr ans dem oben besprochenen Prozesse der Kon-
zentration.
Diesen weit dnrchzusühren aber bedarfs einer wirklich
leistungsfähigen, einer wirklich starken Phantasie. Denn
wie würde es einer schwachen Vorstellungskrast ergehen,
mutete man ihr eine Anfgabe zu, der sie nicht ge-
wachsen ist? Sie würde an einem früheren oder spüteren
Pnnkte ermüden ; die Aufmerksamkeit würde, erschlaffend,
nur durch gewaltsamen Zwang die Anschauung noch
festhalten können. Dann würde das Bild, das ver-
stürkt werden soll, verblassen und verschwimmen; Kon-
trastvorstellungen zögen durch das Gesichtsfeld; nicht
hergehörige Bilder suchten das allzu lang festgehaltene
zu verdrängen, um so die überbürdeten Gehirnteile zu
entlasten. Zum Beispiel: die Beleuchtung wechselte und
statt des Oberlichtes träte Unterlicht aus. Oder es zöge der
Gedanke vorbei, die gesuchte Anschauung als etwas
anderes auszufassen als sie ist, etwa als ein Glasbild
oder ein gesticktes. Die Bilder würden wie zu Nach-
bildern der überreizten Netzhaut, und aus der großen
Mannigsaltigkeit der ursprünglich natürlichen Anschauung
würden immer weniger, starre und bizarre Formen.
Kurz, wir erhielten Bilder wie z. B. dasjenige Axel
Gallens. Daß derselbe Maler, der, wenn er nichts
geben will als ein Wirklichkeitsbild, alle Formen und
und Farben zu Diensten hat, daß er bei seinen Phan-
tasiebildern verschroben und formen- und farbenarm
wird, es lüßt sich vielleicht einsach daraus erklären,
daß er den Zustand einer übermüdeten Phantasie für
den einer besonders thütigen hält, weil eine schwache
Phantasie bei Überreizung solcherlei Erscheinungeu zei-
tigt. Man vergleiche nur mit solcheu Darstellungen
etwa Klingers Griffelkunst, z. B. die mystisch-symbo-