tige Fehden gekämpft wurden. Jn Stil und Cha-
rakter vermochte sich auch die Schauspielkunst, so wc-
nig treffende Anschauung wir von ihr aus srüheren
Zeiten haben, diesen Wandlungen nicht zu entziehen.
Von dem krassen äußerlichen Realismus der blutigen
Ermordungen erhob sie sich zu einer idealisierenden,
alles Rohe sern haltenden Kunst, sie lernte mit den
Dichtern der klassischen Zeit stilisieren, lernte Wort
und Geberde dem Zwange der Verse anpassen und
eine sogenannte von störenden Zusälligkeiten be-
freite, verschönte Wirklichkeit darstellen. Jn Jahr-
zehnte langer Tradition aber wurde sie eine Formen-
kunst, sie erstarrte in Äußerlichkeiten, in schöner Geste,
in halb singender, halb sprechender Deklamation, sie
zehrte von Erinnerungen an große Meister, die von
Jahr zu Jahr in ihren Umrissen mehr und mehr
verschwammen und wurde vom Terrorismus des
Publikums, das liebgewordene Eindrücke nicht gern
preisgiebt, und wenn sie noch so verblaßt, in dem
Bann dieser verschwiminenden Erinnerungen sestge-
halten.
Da kam eine neue Kunst mit neuen Forderungen.
Die Dichtung wandte sich, wie die Malerei, der Wirk-
lichkeit zu, sie suchte moderne Stoffe und Fragen
und demgemüß in der Schauspielkunst entsprechende
Formen des Ausdruckes. Die Dichtung suchte und
sand den modernen Menschen, seine individualistischen
Neigungen, sein außerordentlich entwickeltes Seelen-
und Nervenleben, sie sand ihn gestellt in den Kon-
slikt zwischen Persönlichkeit und Gesellschast, von selbst-
herrlichem Jchbewußtsein mit Forderungen der All-
gemeinheit und Ansprüchen der konventionellen Sitte,
sie entdeckte Tiesen und Geheimnisse des Seelenlebens,
die der alten Kunst in ihrer mehr nach dem nllge-
mein Menschlichen gewandten Richtung fremd waren.
Die Dichtung machte Entdeckungen und Eroberungen
ans Gebieten, die brach und entwertet zu sein schienen
und sie macht bei der äußeren, der naheliegenden
Wirklichkeit nicht halt, sondern versuchte in die un-
enträtselten Fragen des Seelenlebens einzudringen
und im Gegensatz zu dem materiellen Zuge der Zeit
das Geistige, Religiöse, das Unnahbare zu sassen.
Mitten in dieser Entwicklung stehen wir, und sind
wir auch Zeugen oder vielleicht gar Wortsührer in
dem heftigen Kampse sür und wider, entziehen kann sich
von uns keiner dem Banne der schließlich maßgeben-
den und vorwärts treibenden Richtung aus den Stil
der Wirklichkeit.
Mit wie schnöden und übermütigen, durch
keinerlei That gerechtsertigten Worten auch die Brücken
zur Vergangenheit von den Neuerern abgerissen wur-
den, der tiese Beweggrund zu solcher Barbarei war
doch nur, den Bann der alten Formen zu zerbrechen,
um neue Formen sür neuen Jnhalt zu suchen.
Und die Schauspielkunst, was that sie in all
dem sich srisch regenden und vorwürts strebenden
Lebensdrang? Sie stand ratlos, denn sie besand
sich in einer argen Zwickmühle. Als dienende Kunst
— so wollen wir sie ein Mal, ohne auf Einwände
einzugehen, nennen — sühlte sie die Wahrheit des
Bibelwortes: Niemand kann zweien Herren dienen.
Und wenn hier nur zwei gewesen wären!
Auf der einen Seite die klassische Dichtkunst,
noch immer im Doppelsinne das Lebensbrod der
deutschen Schaubühne, auf der anderen die moderne
Wirklichkeitsdichtung! Leider gab es aber noch einen
dritten Herrn oon breiter, aufdringlicher Behäbigkeit,
und um so anspruchsooller und dreister, als er
eigentlich aus einer Kunstbühne kein Daseinsrecht hat.
Man könnte ihn Kasse nennen, wenn nicht theatra-
lische Ramschware, einträgliche Unterhaltungsliteratur,
die eigentlichen Zug- und Kassenstücke deutlicher wäre.
Die Zwitterstellung der Bühnen zwischen Geschäst
und Kunstanstalt wurde wieder ein Mal verhängnisvoll.
Und doch wäre es mit den beiden erstgenannten
Herren, denen die Schauspielkunst zu dienen hat, über-
genug gewesen. Denn so verschiedenartig sind ihre
Forderungen, daß einer allein sie zu ersüllen kaum
im Stande ist. Hier die klassische Dichtung! Tasso,
Jphigenia, Jungsrau von Orleans, Braut von Messina,
um die Höhepunkte der stilisierten, idealistischen Kunst
zuerst zu nennen. Die moderne realistische Schau-
spielkunst steht solchen Aufgaben hilslos und unver-
mögend gegenüber. Und selbst mit den Dichtungen,
die den Übergang zur modernen realistischen Kunst
zu vermitteln scheinen, mit Kabale und Liebe, Emilia
Galotti, Egmont, Götz von Berlichingen, und um die
Reihe fortzusetzen, mit dem Prinzen von Homburg,
dem Kätchen von Heilbronn, würde die schlechthin rea-
listische Schauspielkunst nichts Ganzes und Volles zu
erreichen wissen. Und nun dort, aus der andern
Seite, die Hauptmann, Jbsen, Sudermann, Halbe!
Welche unvermittelten Gegensätze! Anforderungen
gleich der, die von einem Maler niederländisches
Genre, Uhde und Liebermann und zugleich Paolo
Veronese, Coreggio und, meinetwegen, Raphael heischte!
Und was könnte aus der Ersüllung dieser Ansorderungen
zusammen schließlich anderes herauskommen, als eine
eklektische, des eigenen Charakters bare Kunst? Wir
wollen es nicht verreden, daß günstige Umstände und Be-
anlagung einen Meister heranreifen lassen können, der in
derSchauspielkunst beides vermag in annühernd gleicher
Werthöhe, aber man thut gut, die Schauspielkunst
micht nach ben Ausnahmen zu messen, will man ihre
Ausgabe in der Erzielung eines einheitlich durchgesührten
Gesamtbildes erblicken. So ist denn vielfach dem
Drucke zweier Mächte eine Teilung entsprungen: dort
hat man sich auf den Altenteil der klassischen Kunst,
rakter vermochte sich auch die Schauspielkunst, so wc-
nig treffende Anschauung wir von ihr aus srüheren
Zeiten haben, diesen Wandlungen nicht zu entziehen.
Von dem krassen äußerlichen Realismus der blutigen
Ermordungen erhob sie sich zu einer idealisierenden,
alles Rohe sern haltenden Kunst, sie lernte mit den
Dichtern der klassischen Zeit stilisieren, lernte Wort
und Geberde dem Zwange der Verse anpassen und
eine sogenannte von störenden Zusälligkeiten be-
freite, verschönte Wirklichkeit darstellen. Jn Jahr-
zehnte langer Tradition aber wurde sie eine Formen-
kunst, sie erstarrte in Äußerlichkeiten, in schöner Geste,
in halb singender, halb sprechender Deklamation, sie
zehrte von Erinnerungen an große Meister, die von
Jahr zu Jahr in ihren Umrissen mehr und mehr
verschwammen und wurde vom Terrorismus des
Publikums, das liebgewordene Eindrücke nicht gern
preisgiebt, und wenn sie noch so verblaßt, in dem
Bann dieser verschwiminenden Erinnerungen sestge-
halten.
Da kam eine neue Kunst mit neuen Forderungen.
Die Dichtung wandte sich, wie die Malerei, der Wirk-
lichkeit zu, sie suchte moderne Stoffe und Fragen
und demgemüß in der Schauspielkunst entsprechende
Formen des Ausdruckes. Die Dichtung suchte und
sand den modernen Menschen, seine individualistischen
Neigungen, sein außerordentlich entwickeltes Seelen-
und Nervenleben, sie sand ihn gestellt in den Kon-
slikt zwischen Persönlichkeit und Gesellschast, von selbst-
herrlichem Jchbewußtsein mit Forderungen der All-
gemeinheit und Ansprüchen der konventionellen Sitte,
sie entdeckte Tiesen und Geheimnisse des Seelenlebens,
die der alten Kunst in ihrer mehr nach dem nllge-
mein Menschlichen gewandten Richtung fremd waren.
Die Dichtung machte Entdeckungen und Eroberungen
ans Gebieten, die brach und entwertet zu sein schienen
und sie macht bei der äußeren, der naheliegenden
Wirklichkeit nicht halt, sondern versuchte in die un-
enträtselten Fragen des Seelenlebens einzudringen
und im Gegensatz zu dem materiellen Zuge der Zeit
das Geistige, Religiöse, das Unnahbare zu sassen.
Mitten in dieser Entwicklung stehen wir, und sind
wir auch Zeugen oder vielleicht gar Wortsührer in
dem heftigen Kampse sür und wider, entziehen kann sich
von uns keiner dem Banne der schließlich maßgeben-
den und vorwärts treibenden Richtung aus den Stil
der Wirklichkeit.
Mit wie schnöden und übermütigen, durch
keinerlei That gerechtsertigten Worten auch die Brücken
zur Vergangenheit von den Neuerern abgerissen wur-
den, der tiese Beweggrund zu solcher Barbarei war
doch nur, den Bann der alten Formen zu zerbrechen,
um neue Formen sür neuen Jnhalt zu suchen.
Und die Schauspielkunst, was that sie in all
dem sich srisch regenden und vorwürts strebenden
Lebensdrang? Sie stand ratlos, denn sie besand
sich in einer argen Zwickmühle. Als dienende Kunst
— so wollen wir sie ein Mal, ohne auf Einwände
einzugehen, nennen — sühlte sie die Wahrheit des
Bibelwortes: Niemand kann zweien Herren dienen.
Und wenn hier nur zwei gewesen wären!
Auf der einen Seite die klassische Dichtkunst,
noch immer im Doppelsinne das Lebensbrod der
deutschen Schaubühne, auf der anderen die moderne
Wirklichkeitsdichtung! Leider gab es aber noch einen
dritten Herrn oon breiter, aufdringlicher Behäbigkeit,
und um so anspruchsooller und dreister, als er
eigentlich aus einer Kunstbühne kein Daseinsrecht hat.
Man könnte ihn Kasse nennen, wenn nicht theatra-
lische Ramschware, einträgliche Unterhaltungsliteratur,
die eigentlichen Zug- und Kassenstücke deutlicher wäre.
Die Zwitterstellung der Bühnen zwischen Geschäst
und Kunstanstalt wurde wieder ein Mal verhängnisvoll.
Und doch wäre es mit den beiden erstgenannten
Herren, denen die Schauspielkunst zu dienen hat, über-
genug gewesen. Denn so verschiedenartig sind ihre
Forderungen, daß einer allein sie zu ersüllen kaum
im Stande ist. Hier die klassische Dichtung! Tasso,
Jphigenia, Jungsrau von Orleans, Braut von Messina,
um die Höhepunkte der stilisierten, idealistischen Kunst
zuerst zu nennen. Die moderne realistische Schau-
spielkunst steht solchen Aufgaben hilslos und unver-
mögend gegenüber. Und selbst mit den Dichtungen,
die den Übergang zur modernen realistischen Kunst
zu vermitteln scheinen, mit Kabale und Liebe, Emilia
Galotti, Egmont, Götz von Berlichingen, und um die
Reihe fortzusetzen, mit dem Prinzen von Homburg,
dem Kätchen von Heilbronn, würde die schlechthin rea-
listische Schauspielkunst nichts Ganzes und Volles zu
erreichen wissen. Und nun dort, aus der andern
Seite, die Hauptmann, Jbsen, Sudermann, Halbe!
Welche unvermittelten Gegensätze! Anforderungen
gleich der, die von einem Maler niederländisches
Genre, Uhde und Liebermann und zugleich Paolo
Veronese, Coreggio und, meinetwegen, Raphael heischte!
Und was könnte aus der Ersüllung dieser Ansorderungen
zusammen schließlich anderes herauskommen, als eine
eklektische, des eigenen Charakters bare Kunst? Wir
wollen es nicht verreden, daß günstige Umstände und Be-
anlagung einen Meister heranreifen lassen können, der in
derSchauspielkunst beides vermag in annühernd gleicher
Werthöhe, aber man thut gut, die Schauspielkunst
micht nach ben Ausnahmen zu messen, will man ihre
Ausgabe in der Erzielung eines einheitlich durchgesührten
Gesamtbildes erblicken. So ist denn vielfach dem
Drucke zweier Mächte eine Teilung entsprungen: dort
hat man sich auf den Altenteil der klassischen Kunst,