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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 19
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11729#0309

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ung, die heutelebensfrisch, ledig aller konventionellen An-
hängsel die Situation beherrscht. Es ist nicht angenoinmene
Äutzerlichkeit, die üas Wort hat, sondern Arbcitsresultat,
das freinnllig erreicht murde. Hätten jene, die sich in gröblich
verletzenden Aeußerungen gehen lassen über eine Welt, die
sie nicht kennen, die Gelegenheit, init sremden, nichtdeutschen
Delegirten zusammenzukommen und derenUrteile -^voraus-
gesetzt, daß sie solche zu verstehen imstande sind — zu
hören, so würde die Sprache vielleicht eine andere scin, als
in dem vorhin angesührten Passus über die Münchener
Sezession. Freilich ivo mit Prügeln blind dreingehauen
mird, da ist von sachlichem Eingehen nie die Rede.

Eine künstlerische Veranstaltung der kürzlich verflossenen
Zeit, die meder mit der Genossenschast noch mit der Se-
zession im Zusammenhange stand und heute erst recht im
Munde Aller ist, iveil der, dessen Namen sie trug, plötzlich
und unermartet aus den Reihen der Lebenden schied, ist die
Lindenschmit-Ausstellung gemesen. Am 8. Iuni ist
Prosessor Wilhem (Ritter vonj Lindenschmit gestorben,
wenige Tage, nachdem die Ausstellung seines Lebensiverkes
geschlossen murde, der eine freilich sehr lückenhafte Aus-
stellung von Werken seiner Schüler, älterer soivohl wie
heutiger, angereiht war.

Was die eigenen Arbeiten Lindenschmitts betrifft, so
ist deren Zahl eine sehr große gewesen. Dadurch war es
möglich, ein ziemlich scharf abgegrenztes Bild von der
Entwickelung und Thätigkeit des Dahingegangenen zu
bekommen.

Es gab eine Zeit, da gerade er einen bestimmten
Gruppentypus vertrat und dem Ausdruck gab, was eine
ganze Reihe deutscher Künstler anstrebte, die Ende der
Vierziger Jahre erst nach Antwerpen, dann nach Paris
wanderten, um außerhalb der Grenzen ihres Vaterlandes
das zu suchen, was daheim noch nicht Wurzel geschlagen
hatte. Die Malerei nämlich, die es, ihrem Namen ent-
sprechend, mit den Fragen der farbigen Erscheinung der
Natur in erster Linie zu thun hat, den erklügelten Gedanken-
ausbau einer mehr überlegten als gefühlten Kunstüußerung
dagegen zurückdrängte. Jene Künstlergruppe, zu der außer
Lindenschmitt auch Feuerbach, Viktor Müller, Henneberg,
v. Hagn, Spangenberg u. a. zählten, wollte die Farbe
nicht mehr bloß als Hilssmittel, sondern als Mittel zur
Darstellung. Jhre Rückkehr nach Deutschland bedeutete
gerade für München, das die Hochburg der Kartonzeichnerei
gewesen ist, den Durchbruch einer neuen Anschauung. Darin
liegt die Bedeutung Lindenschmits in allererster Linie,
dadurch ist er einer der Vorkämpser der Anschauung unserer
Tage geworden. Das ivird leicht übersehen in der etwas
hochgehenden Meinung, daß die Kunst von heute eine ge-
wisse Aehnlichneit mit Pallas Athene habe, die gewappnet
und gerüstet dem Zeuskopfe entstieg. Da wir aber vorerst
keine Olympier sind, die Wissenschaft vielmehr bei der
Beurteilung eines Organismus immer darnach fragt, wer
Vater und Mutter gewesen seien, so ist es selbstverständ-
lich, daß man bei den Leistungen der heutigen Kunst nicht
vergißt was gestern war. Für das „Morgen" sind wir
die Gestrigen und das Uebermorgen weiß vielleicht schon
überhaupt nicht mehr, was wir eigentlich gewollt, oder
es freut sich, aus scheinbar eigenen neuen Wegen zu scheinbar
eigenen Ergebnissen gekommen zu sein.

Es kann natürlich nicht Sache dieser Zeilen sein,
Lindenschmits Werke, die da zusammen ausgestellt
waren, auszuzählen oder den Wandlungen nachzugehen,
die er selbst durchgemacht hat. Das ist Aufgabe der Kunst-

historiographen. Eines aber mag hier erwähnt sein, was
nicht ohne große Bedeutung für die heutige Ent-
wicklung der Münchener Malerei gewesen und zum Teil
auch Lindenschmitt's Verdienst ist: Es ist das Zustande-
kommen der Jahresausstellungen; diesen ist es ohne Zmeifel
in erster Reihe zuzuschreiben, daß neue Anschauungen bahn-
brechend wirkten, daß serner die Ueberzengung an Aus-
dehnung gewann, wir seien in München des Anstoßes
zu neuem Leben bedürftig und dieser könne nur von außen
kommen. Die Gegner des Jahresausstellungen führten
alle Truppen ins Feuer, die sie nur irgendwie als tauglich
erachteten, um das Hergekommene und nachtrüglich geradezu
schablonenhast gewordene zu schützen und sich mit einer
Art von chinesischer Mauer zu unigeben. Gelegentlich
einer beschlußsassenden Versammlung ist es Lindenschmit
gewesen, der mit Feuer sür die Jahresausstellungen ein-
trat nnd ungefähr sagte, die Kunst sei nicht mit Grenz-
psählen absperrbar, vielmchr solle man sich nie scheuen,
die Anregung von Außen aufzunehmen, wenn sie nicht
von Jnnen herauswachse, und sie wachse bei uns that-
sächlich nicht mehr von innen heraus. — Er selbst ver-
schloß sich den Einwirkungen einer sortschreitenden An-
schauungsweise keineswegs, vielmehr suchte er sogar, die
ihn beherrschende Anschauung in ein anderes Geleise zu
bringen, die Wirkung der Farbe nicht mehr auf den Gegen-
satz von hell und dunkel allein zu beschränken, sondern
Tonwert gegen Tonwert zu stellen. Einen solchen Versuch
wagen wenige, die das 60. Lebensjahr überschritten haben.
Das können nur krastvolle Naturen unternehmen.

„Des Lebens Lust und Last" ist das Resultat dieser
Bestrebungen gewesen. Die Skizze, im Glaspalast diesen
Sommer ausgestellt, ist von einer Frische, die ivesentlich
gegen manch andere Bilder L.'s absticht. Das darnach aus-
geführte Gemälde mit lebensgroßen Figuren war vielleicht
rüumlich zu groß, als daß der erste Versuch, mit der
Farbe sreier als bisher umzuspringen, Aussicht auf Ersolg
haben konnte. Lindenschmitt schritt auf der neuen Bahn
nicht weiter. Was ihn in seiner vollen Krast zeigte, war
der sterbende Oranien, der gegen französische Studenten
vom Leder ziehende tzutten, die Gründung der Gesellschaft
Jesu, seine Resormationsbilder. Das sind Dinge, die un-
abhängig von dcn Wandlungen der Lebenden stets ihr
Recht behalten werden und bezeichnend sind für die Zeit,
da den deutschen Künstlern die Erkenntnis ausging, die
Farbe sei zum Malen da. Am stärksten ofsenbarte sich
dies Streben bei Lindenschmitt vielleicht in einer auch bei
seiner Ausstellung vorhandenen Skizze, von dcr ich nicht
weiß, ob sie als Grundlage zu einem Bilde diente. Sie
muß, den Kostümen der Damen nach zu schließen, den
sechziger Jahren angehören und stellt eine Gesellschaft, ein
„Kränzchen", ein Bcisammensein von Männern und Frauen
dar, die sich unterhalten. Das ist so frisch, so sarbenkrästig
und satt im Tone, daß man seine helle Freude daran
haben mußte. Kein Asphalt, keine Schwärzen, kein Suchen
nach Kontrasten der gewohnten Art, sondern nur Farbe
gegen Farbe. — Noch in der letzten Zeit wollte er daran,
das Bild zu erneuern, das einst sein Vater zur Erinnerung
an die Mordweihnacht 1705 am Kirchlein zu Sendling
aus die Mauer gemalt hatte, ein Andenken an die tapferen
Bauern des Oberlandes, die gegen Oesterreichs Truppen
tapser kämpsend bis aus den letztcn Mann fielen. Er
konnte sie nimmer malen, den Schmied von Kochel und
seine heldenmütigen Sensenmänner. Der Sensenmann

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