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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 21
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Schliepmann, Hans: Erziehung zur Freude, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.11729#0335

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Ä

Arbeiter die Früchte seiner Arbeit sichert, so daß er
durch höhere Leistungen auch sicher größere Erfolge
erlangt.

Bis wir aber diese gewaltige Ausgabe ans sreu-
diger Thatkraft nnd lebendigew Gerechtigkeitsgesühle
heraus gelöst haben, werden nnabsehbare Jahre ver-
gehen, Jahre, in denen es zunächst gilt, die Führen-
den eben mit jener Freudigkeit nnd Aufopfernngs-
fähigkeit im Sinne einer gewaltigen Jdee zu ersüllen.

llnd als Abschlagszahlnng der großen Schnld
der Besitzenden an die Besitzloscn müßten wenigstens
unverzüglich nnd nnermüdlich jene Ziele gesördert
werden, die den untcren Schichten gestatten, an den
höchsten Geistesfreuden teilzunehmen, an ihnen ihre
Anschauungen zn läutern und zn erheben; jene Ziele,
durch die wenigstens die geistigen Schranken
zwischen Arm und Reich niedergerissen rverden und
durch deren Erreichung erst „Sonntagsruhe" und
„Achtstnndenarbeitstag" einen vernünftigen Sinn er-
halten, während jetzt, da wir die Leute nicht in die
Kirche oder in den Betstuhl zwingen können, die ge-
botene Muße eher schädlich als nützlich ist. Was
bleibt denn den Arbeitern außer Tanzboden oder
Schänke?

Es ist darnm nicht eine Luxusbestrebung, sondern
eine Selbsterhaltungspflicht, daß wir Ernst machen
mit der Gründnng von Volkslesesälen, von Versamm-
lungsrüumen, in denen wissenschastliche nnd künst-
lerische Fragen in gemeinverständlicher Form unter
Hinweis aus ein reiches Anschauungsmaterial erörtert
werden, daß unsere Museen endlich aushören, ledig-
lich dem Gelehrtentum und den Fremden offen zu
stehen; es ist geradezu eine Schmach, daß die Kosten
sür Herstellung künstlerischer Beleuchtung und sür
Vermehrung des Aussichtspersonals noch immer als
ausreichender Grund dafür angesührt werden dürsen,
daß selbst die Berliner Museen abends geschlossen
bleiben.

Es müßten endlich echte, nicht von der Kassen-
frage beim Spielplane abhängige Volkstheater erbaut
werden, in denen deutscher Geist, deutscher Jdealismus
zum Worte kommt ohne irgendwelche ausdringliche Ten-
denz, gegen welche der Arbeiter ein viel seineres Gefühl
hat als man gemeinhin glaubt. NichtTheater, die allabend-
lich zu irgend einer Sensation locken, oder in denen
eine Atelierkunst mit spitzfindigen Problemen Fange-
ball spielt, sondern Festhüuser nach der Art desjenigen
in Bapreuth, aber unter ganz anderer Verwaltung,
zu denen eine begeisterte Menge in echter Feiertags-
stimmung wallsahrtet.

Und wie man auf diese Weise neue Volks-
seste schaffen könnte, so möge man die alten be-
leben, in Ehrsurcht und Freude an der Väter gutem
Brauch; Vornehm und Gering aber müßten gemein-

sam an diesen Festen teilnehmen. Es thüte unserer,
der Oberen, Geselligkeit wahrhaftig nicht Abbruch,
demr der „gemeine Mann" hat sich im allgemeinen
die Fähigkeit zu harmloser Fröhlichkeit trotz aller
Alltagssorgen weit besser gewahrt als die Gebildeten,
deren Geselligkeit mit Kartenabgeben, Abfütterung mit
obligater Musikbelästigung und Plattheitengeschwätz
nachgerade zur widerlichsten Fratze deutscher Gast-
sreundlichkeit geworden ist. —

„Das ist ja alles ganz gnt und schön", höre
ich sagen, „aber die Kosten, die Kosten, mein
Lieber!"

Ach ja, Wilhelm Busch, der das Philisterium
ja so köstlich unsehlbar zu schildern weiß, hat schon
recht: „Aber wenn die Kosten kommen, fühlet man
sich angstbeklommen!"

Gewiß, solange unsere ganze Finanzweisheit ist,
nichts auszugeben, so lange ist keine Rettung. Aber
wird der Staat wirklich nie aufhören, ein großer
Proletarier zu sein, der sür ideale Bedürfnisse nichts
aufzuwenden hat und der deshalb alles verkommen
lassen muß, außer was ihn vor Hunger und Blöße
schützt? — Arbeite, damit Du etwas verdienst,
ruft man dem gesunden Bettler zu. Gieb uns zu
thun, damit unsere Steuerkrast sich hebe, könnten
mit gleichem Rechte unsere arbeitenden Kreise sagen.

Wir haben glücklicherweise die Kosten noch immer
aufgebracht, deren wir sür unsere Rüstung gegen
änßere Feinde bedurften. Gegen die Feinde in unserem
vielsach kranken Gesellschastskörper werden Kanonen
ebensowenig ausrichten, wie das Messer des Chirurgen
gegen Bazillen. Es gilt eine Ausbesserung unserer
„Säste", um sie „immun" zu machen gegen die An-
griffe aller Fäulniserreger. Da hilft auch kein „Be-
sprechen" durch Gesetze gegen den Umsturz; wir selbst
müssen umstürzen, umstürzen das laisser ka.ire, l^isser
aller auf dem Gebiete des Geistes und des Gemütes.
Wollt Jhr nicht den moralischen Ruin und damit die
schließliche Herrschaft der Kanaille, so müßt Jhr die
Waffen bezahlen, die Euch allein schützen können:
Gesittung durch Freude, durch Wissenschaft und Kunst!
Vielleicht erspart Jhr bereits an den Kosten sür Staats-
anwaltschaft, Richter und Diebessicherungen ein gut
Teil von dem, was Jhr sür das Stieskind Kunst
auszubringen hüttet, um aus ihm eine sänftigende,
seelenerhellende Fee zu machen.

Und ist unser Staat dazu nicht imstande, erklärt
er sich damit der drängendsten Ausgabe der Zeit nicht
gewachsen und lediglich geeignet, die Rolle eines Gen-
darmen zu spielen: wohl, Jhr Besitzenden, so thut
Jhr, was jener in Kurzsichtigkeit versäumt! Wenn
nicht aus „Christentum", so aus Sorge um den Schutz
Eures Besitzes gegen verrohte Neidinge.



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