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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 23
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Zum Sedantage
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Hoftheater dem ernsten StreLen der Meininger einigen
Einftuß, das übrigens auch feinem Geiste nach nicht
eben germanischer Kunftauffasfung entsprach. Vor-
trefflich wohl befand fich die Operette. Von den
Poeten errang Ebers mit feinem Maskentrödel einen
großen Erfolg, Scheffel mard mehr gefeiert dem
Trompeter und Gaudeamus, als dem unvergleichlich
wertvolleren Ekkehard zu lieb, Geibel zu feinem
eigenen Leid mehr wegen feiner unbedeutenden
Jugend- als wegen feiner reiferen und tieferen
Mannesgedichte. Dann kamen Julius Wolff und
Rudolf Baumbach, die künstlich „Frifche" fabrizierten,
in die Mode, während z. B. ein Gottfried Keller
nur von ganz Wenigen verstanden ward. Außer-
ordentlich gewachfen war die Teilnahme am Jour-
nalismus, der, foweit er zu Gebildeten oder Halb-
gebildeten fprach, mit feiner überwiegenden Haupt-
kraft rücksichtslos die liberalen Jdeen vertrat, durch
deren Einfluß mehr als durch ihren nicht zu be-
streitenden literarifchen Wert auch Werke wie Fitgers
Hexe populär wurden. Wollen wir den Geist des
damaligen Tagesgefchmacks bezeichnen, so müsfen wir
des stärksten journaliftischen Erfolgs der Zeit ge-
denken: er fiel der „Gegenwart" und damit Paul
Lindau zu, einem Manne, der mit feiner Geift-
reichelei die deutschen Kulturfragen auf fo undeutfche
Weise wie nur möglich behandelte und der z. B. die
größte künftlerifche That des germanischen Lebens
von damals, eben Bayreuth, fo wenig begriff, daß
er sie nurbewitzelte. Die Erinnerung an das einftige
Anfehen Lindaus könnte allein genügen, diese ganze
Periode im Hinblick auf ihre künstlerifche Aufnahme-
fähigkeit zu kennzeichnen.

Man braucht sie nicht zu unterfchätzen und muß
es doch eingestehen: von einer allgemeinen deutschen
Kunstblüte infolge der nationalen Erhebung konnte in
den ersten Jahren nach dem Kriege noch nicht die
Rede fein. Man hat's nun auch fchon längft zuge-
geben, ja, man hat unter Hinweis auf Analogien
der Geschichte fo plaufible Gründe für das Wegbleiben
des einft mit Sicherheit Erwarteten aufgezeigt, daß
wir die Feftigkeit unsrer Hoffnung von ehedem heut
felber kaum noch begreifen können. „Treppenwitz
der Weltgefchichte!"

Aber ist es denn die Behandlung vaterländischer
Stoffe, was eine nationale Kunst machtd Müffen
wir uns nicht vielleicht überhaupt davor hüten,
„patriotische" Kunft allzu hoch zu bewerten? Mag
sie noch fo edel fein, vor Abficht, vor Tendenz kann
sie sich nur fchwer bewahren ; ich kann mir nicht
helfen, sie erinnert mich in den meiften ihrer Gestalt-
ungen an eine fchöne Frau, die auf einem Auge
blind ist. Jedenfalls ift doch wohl dieses das
Wichtigfte und macht das im höchsten Sinne eine

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nationale deutsche Kunft: daß der Deutfche auf
deutsche Weife aufnehme, verarbeite und geftalte.
Gibt es nationalere Kunft, als Dürers religiöfe Bil-
der, obgleich die Gefchichte Chrifti kein vaterländifcher
Stoff war? Sie ist eben mit deutfchem Fühlen ver-
arbeitet worden. Wollen wir den nationalen Wert
der Kunst nach dem Kriege ermeffen, thun wir alfo
wohl, fie daraufhin zu prüfen, ob ihre G e st a l t-
ungsweife deutfch war. Wir deuteten fchon an:
fehr zu ihren Gunsten fiele die Prüfung nicht aus.
Bei Männern wie Jordan, Dahn, wirkten ja auch
im Wie des Schaffens nationale Beweger mit. Der
allergermanischfte Dichter aber, der damals fchuf, eben
Keller, blieb fast ohne Einfluß. Und im Allgemeinen be-
haupteten noch den Kampfplatz, wie uneins auch unter-
einander, die ungermanischen Jdeale der Antike in
Winckelmannfcher Auffaffung, des „Jdealismus" im
Sinne äußerlich formaler Schönheit, des „Nealismus"
im Sinne einer kühlen Genauigkeit in der Wiedergabe
der Dinge, dem die Richtigkeit des Uniformknopfes wich-
tiger war, als die Richtigkeit von Licht und Luft, des
„Kolorismus" ausschließlich auf wohlgefällige Augen-
wirkung hin unter munterer „Korrektur" der Wirk-
kichkeit. Es war ein fchöner Jrrtum gewesen, zu
glauben, eine neue Kunft köune wie ein Siegesheer
mit Hurrah und Fahnenwehn in die Thore ziehn.
Was von der Größe der Zeit hier befruchtet werden
konnte, das war nur der S a m e n einer neuen
Künst. Der mußte erst keimen und Wurzel fchlagen
und sich bestocken, ehe fein Frühling fichtbar ward.
Die Sache lag fo: die rasche Benutzung und Ge-
ftaltung der unmittelbaren Zeitstimmungen, der
patriotifchen Stoffe, mußte den Fertigen, mußte
denen überlaffen werden, die nach den altgewohnten
Empfindungen mit den altvertrauten Mitteln fchalteten.
So kam es, daß das keimende Neue oft genug zu
der patriotischen Kunst des Tages fogar in Gegner-
fchaft trat, ja, daß es fein eigenes Wesen, feinen
nationalen Charakter felbft nicht verftand. Wir
hätten erft dann einen Grund zu ernster Klage, wenn
die damals gestreute Saat ftärkeren nationalen Em-
pfindens nicht nur in der Zeit unmittelbar nach dem
Kriege nicht geblüht hätte (das konnte sie ja gar
nicht fo fchnell), fondern wieder verkommen wäre.

Dürfen wir das behaupten?

Selbst der kühlfte Beurteiler unsrer Kunst von
heute, felbst wer gleich uns einer großen Anzahl
ihrer Erfcheinungen mit zweifelndem Kopfschütteln
oder mit heiterem Spotte gegenübersteht, wird sich
fchwerlich besinnen, dem Kunftleben der Gegenwart
den Vorzug vor dem aus Paul Lindaus Glanzzeit
zu geben. War das äußerliche Nachahmen der
Antike damals oder heute mehr im Schwung? Jn
der Dichtung, in der Musik, in den bildenden Künsten,
 
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