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Der Kunstwart: Rundschau über alle Gebiete des Schönen ; Monatshefte für Kunst, Literatur und Leben — 8.1894-1895

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Heft 24
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Rundschau
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https://doi.org/10.11588/diglit.11729#0386

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aus den beiden Pariser Salons zu uns kamen. Diesmal
bringen sie uns, weniges ausgenommen, bloß die liber-
zeugung bei, daß auch an der Seine sehr viel geschassen
wird, was die Welt, um reicher in ihren Anschauungen
zu werden, nicht gerade zu sehen braucht. Was die Fran-
zosen immer gutes an sich haben, den Ausdruck eines ge-
wissen positiven Könnens, der uns oft mangelt, ist auch
da nicht zu verkennen. Aber im großen Ganzen befriedigt
denn das allein doch nicht. Wir bekommen eben die
besten Sachen sehr selten zu sehen; nur diese aber können
sördernd wirken. Nun war das Fördern der eigenen An-
schauung doch eigentlich das leitende Motiv, das die
immer wiederholte Heranziehung ausländischer Künstler
zu den Münchener Ausstellungen veranlaßte. Nachdem
sedoch das allgemeine Niveau des eigenen Könnens —
pwhlverstanden, ich spreche von „Können", nicht allge-
meiner von „Kunst" — sich im Laufe weniger Jahre in
einem Maße gehoben hat, wie es wohl nur von wenigen
geahnt werden konnte, so liegt eigentlich kein Grund
weiter vor, von außen anderes herbei zu wünschen, als
was qualitativ unanfechtbar ist. Aber was hat denn das
heutige Frankreich an solchen Dingen aufzuweisen? Die
zentrifugale Strömung der Kunst in Frankreich ist zu
einem Maße gediehen, die kaurn mehr gesteigert werden
kann. Jene Trennung, die sich zwischen den Künstlern
von Paris unter den Fahnen Bouguereaus einer-, jenen
Meissonniers anderseits vollzogen hal, sührte nicht zu ge-
waltig imponierenden Gruppenbildungerr seitens der
Besten; sie ließ bloß erkennen, daß Pedanten, akademische
Schulmeister und ihr Gefolge nicht friedlich unter einem
Dache wohnen können mit Jenen, denen das Experiment
die Hauptsache ist. Stehen auch noch einzelne Säulen
fest, wie ein Puvis de Chavannes beispielsweise, so kann
es doch gar keinem Zweifel unterliegen, daß die französische
Kunst nicht im Fortschritt begrifsen ist, keineswegs das
zu höherer Entfaltung gebracht hnt, was in srüheren
Dezennien unseres Jahrhunderts den verheißungsvollen
Ansang zu einer wirklichen „Renaissance" zu bedeuten
schien. Nicht unrichtig wird der alte Pariser Salon mit
einer Buchhandlung verglichen, in der alle Klassiker in
kritischen Ausgaben zu haben sind, nwhrend der neue, der
Salon des LbLmp-cte-MLw als Analogon zu den bekannten
Kostümbällen des LI/seetVtoQtinai-ti-e bezeichnet werden darf.

An Werken von Co rot, der ja übrigens längst nicht
mehr unter den Lebenden weilt, mithin nicht als ein
Schassender unserer Tage in Betracht zu ziehen ist, bleibt
auch den Heutigen noch immer etwas zu lernen übrig;
Arbeiten von Besnard, wie das Stück allegorischer
Dekoration, das von ihm ausgestellt ist, tragen, wie
nicht anders möglich, den Stempel eigenartiger künst-
lerischer Größe; Fritz Thaulow, der übrigens durchaus
kein Pariser, sondern eine krastvolle Norweger — Natur
ist, bleibt stets eine Erscheinung ungewöhnlicher Art, so auch
diesmal in seinen beiden Marinebildern; ein Akt von
Collin wird immer durch die delikate Ausfassung seinen
Reiz haben; Arbeiten von Aublet, von Lulu Breslau,
Edelseldt, Melchers, Nozalu. a. bezeugen, wie
nicht anders zu erwarten, die hoch ausgebildete malerische
Anschauung ihrer Autoren. Ein paar Landschasten von
A. Lebourg wirken in der einfachen, dabei rasfinierten
Art ihrer Mache ganz eminent. Georges Griveau's
Schloßruine erinnert im besten Sinne an die großen
Landschasten ülterer Ordnung in Frankreich. Raffaelli
swenn nicht allzu viele Arbeiten von ihm auf einem Fleck

konzentriert sind) ist, nach wie vor hart an der Grenze
der Karikatur stehend, der geistreiche Jnterpret des
Pariser Straßenlebens, aber seine Palette hat keine Ab-
wechselung. Allen Respekt vor Manet als dem unent-
wegten Vorkämpfer impressionistisch sreier Anschauungs-
weise, dem Schöpfer hochbedeutsamer Werke, aber vor
seinem diesmaligen Bilde muß man ein verbohrter Be-
wunderer seiner in ihrer Art immer sich wiederholenden
Arbeiten sein, um Begeisterung dafür zu sinden. Jch
habe meiner Lebtag manche Abnormität gesehen, aber
dergleichen malerische Abnormität, die jedem Sammler
von Verkrüppelungen Spaß machen dürfte, sah ich nicht
nicht leicht; daß der Künstler aber mit Absicht Karikaturen
auf eine ziemlich umfangreiche Leinwand hingezaubert
habe, ist kaum anzunehmen. Ob Carlos Schwabe
ein Vollblut-Franzose von der spanischen Grenze ist, weiß
ich nicht. Seine etwas verworren geistreichen Zeichnungen
lassen darauf raten, daß er eine Art von Phantasie hat,
die eigentlich auf Deutschland weist — sranzösische
Phantasie ist etwas davon gänzlich verschiedenes. Jch
kann sie nicht alle auszählen, die Nummern, die den Ab-
gangsstempel „Paris" tragen, aber so viel ist sicher: „Le
Ii'e8t PL8 tout I'Li-18", und wer sich darnach eine Meinung
über das Wesen des künstlerischen Paris bilden wollte,
käme ganz entschieden zu Trugschlüssen der schlimmsten Art.

Schotten und Engländer halten sich auf der
gleichen Höhe wie srüher. Sie haben eine ganze Reihe
von Künstlern aufzuweisen, die keine „Spezialisten" sind,
sondern alles, was ihnen vor Augen kommt, zuur Gegen-
stande künstlerischer Verarbeitung machen. Dabei bekommen
wir ja zudem nur ihre Bilder und plastischen Werke zu
sehen. Wohl wenige der Unsrigen wissen, daß eine ganze
Reihe der britischen Künstler sich nebenbei auch noch ganz
intensiv mit kunstgewerblichen Fragen aller Art beschäs-
tigen, was bei unseren deutschen Künstlern keineswegs
der Fall ist. Aber als Maler auch — Hut ab vor ihnen!
Es sind unverfälschte Naturen, die, mögen sie in Frank-
reich oder Jtalien die ersten leitenden Einflüsse empfangen
haben, immer sich selbst wieder finden. Etwas Breites
liegt in ihrer Kunst, etwas von dem, was Englands
Macht-Entwickelung möglich gemacht hat, und dabei haben
sie Poeten vom reinsten Wasser — ich meine Maler, die
das Poetische der Natur am rechten Fleck zu tressen wissen,
ohne einerseits ins Süßliche, ohne anderseits in die bloße
Natur-Nachahmung zu versallen, kurzum, es sind Voll-
blutmenschen, die das Gefühl erwecken, sie seien nicht leicht
aus dem Gleichgewicht zu bringen.

Kein Zweisel, daß Frankreich zu Zeiten — nur zu
Zeiten — stark auf die englische Kunst zurück gewirkt hat,
und zwar nicht blos dadurch, daß manche jungen Briten
nach Paris gingen, um dort den Hang zu individueller
Aeußerung erst im pedantischen llnterrichte erstickt,
dann sich freigelassen zu sehen mit der Anweisung: „das
Handwerk kannst du, nun schau, wie üu weiter konrmst."
Nein, das allein war es nicht, es waren auch Reslexe
anderer Art, die von der Seine hinüberleuchteten zur
Themse, aber die Kraft des englischen Bodens hat diese
Befruchtungen stets verarbeitet. Das „llin cks 8iec1s —
Fahrwasser" spielt dort keine Rolle, weder bei den Künst-
lern ohne Titel, noch bei jenen, die ihrem Namen das stolze
R. A. beifügen dürfen. Die Ropal-Akademp ist behördlich
geordneter künstlerischer Sanitätsdienst. Daß der nicht
immer das unbezweifelt richtige trifft, ist durch manchen
Fall genügend erwiesen. Doch sie sind nicht alle mit der


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