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Kunstwart und Kulturwart — 32,3.1919

DOI Heft:
Heft 17 (1. Juniheft 1919)
DOI Artikel:
Brieger, Lothar: Sehnsucht nach dem Stil, [1]: eine Studie über kunstliterarische Darstellung
DOI Artikel:
Bauch, Bruno: Vom Kultursterben der Menschheit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.14423#0206

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schließlich die soliden Gruirdlagen liefert, auf denen ein erfrenliches Gebäude
aufgezimmert werden kann. And auf der andern Seite leitet sie einmal mit
tödlicher Sicherheit in eine Periode, da sozusagen jedermann glaubt, über
bildende Kunst schreiben zu könncn, ja zu sollen. Zunächst noch stark mit den
Elementen einer gut gegrüudeten und geschulten Wissenschaft gesättigt, löst
sie sich mehr und mehr von diesen, und das Ende ist, daß die Kunstliteratur
von einem uuwesentlichen und verwirrenden Kunstfcuilleton abgelöst wird, wie
es in einer sehr unfruchtbaren Form etwa unsere Romantiker pflegten. Man
kann der letztern Gefahr bis zu einem gewissen Grade begegnen, indem man
jene andere vermeidet, gauz aus dem Wege gehn kann man ihr nie. Das
ist aber auch gar nicht notwendig. Auf die feuilletonistische Entartung folgt dann
schließlich immer wieder gesetzmäßig die wissenschaftliche Reaktion. Man darf
die Vorzüge nicht um der Aachteile willen leugnen. Rnd eine Zeit, die voll
ist vou der Sehnsucht nach dem Stil und von dem Willen, sich ihn zu schasfen,
muß fich auch ihre Fachliteratur zu eiuem Werkzeuge dieser Sehnsucht und
dieses Willens machen, Weil nur auf diese Weise diese Fachliteratur fruchtbar
für das allgemeine Eurpsinden und WAnschen werden kann. Das Literarische
muß eine Zeit lang stärker sein als das Fachwissenschaftliche.

Es ist hier nicht Zeit und Gelegenheit, um breiter uud tiefer auszuführen,
was jedem Leser neuerer Kunstliteratur schou unterbewußt zu einer leisen und
nicht unfreudigcn Verwunderung geworden sein wird: die neue Verlebendigung
des Buchstabens in unserer Kunstliteratur. Ich will versuchen, an einigen in
letzter Zeit erschienenen Kunstbüchern die vorgegangene Wandlung eiu wenig
sinnfälliger zu machen. (Schluß folgt) Lothar Brieger

Vom Kultursterben der MenschheiL

^^as Wort vom „Kulturleben" ist bereits zu einem technischen Aus-
^-D^druck geworden. Die Erlebnisse der letzten Iahre scheinen uns aber
den Gedanken eines Kultursterbens viel näher gebracht zu haben,
als den eines Kulturlebens. Viel offener, ja greifbarer scheinen die
kulturmörderischen Wirkungen des Krieges vor uns zu liegen, als etwa
irgendeine kulturschöpferische. Aber dem sei, wie ihm wolle, cines wäre
damit unmittelbar schon znm Ausdruck gebracht, daß es sich dabei nämlich
doch noch um etwas anderes handelt, als um das, was wir gerade unter
Kultursterben zu verstehen hätten. Sie verhalten sich etwa wie der so-
genannte natürliche Tod und der gewaltsame Tod. Eine Gegenüber-
stellung, die darum nicht gerade glücklich ist, weil unter rein natürlichen
Gesichtspunkten, oder genauer unter dem Gesichtspunkte naturnotwendiger
Tesetzlichkeitz wie ihn die Naturforschung zur Anwendung bringen muß,
auch der gewaltsame Tod dieser Gesetzlichkeit untersteht, unter ihrem Ge-
sichtspunkte also selbst ein natürlicher ist. Man unterscheidet darum auch
wissenschaftlich richtiger zwischeu gewaltsamem und normalem Tod. Dieser
würde mit der spezifischen Gesetzlichkeit des Lebens selbst gesetzt sein, jener
nicht. Nnd so hätten wir auch das Kultursterben zum Unterschiede von
jeglicher gewaltsamen von außen kommenden Kulturvernichtung als einen
normalen, in diesem selbst notwendig gesetzten Ausgang und Ausklang
des Kulturlebens zu verstehen.

Für die Antike, auch noch für ihren größten Denker, Platon, waren
Leben und Tod überhaupt sich wechselseitig ausschließende Gegensätze. Die
Stellung der. modernen Biologie ist nicht so einfach, sondern sehr viel
komplizierter. tzinsichtlich der „Urtiere", der Protozoen, könnte sie in
der Tat, wie sie es auch tut, von einer „Ansterblichkeit" der Lebewesen
sprechen. Denn da das einzellige Lebewesen sich durch Teilung vermehrt,

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