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Kunstwart und Kulturwart — 32,3.1919

DOI issue:
Heft 16 (2. Maiheft 1919)
DOI article:
Cauer, Paul: Politik in der Schule
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https://doi.org/10.11588/diglit.14423#0165

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Politik in der Schule

^^-^Lim Ausbruch uud im Verlaufe des Weltkrieges ist in weiten Kreisen
^D^nnsrer Nation ein Mangel an politischer Einsicht und Weitsicht so
erschreckend und, im Gedanken an das, was noch werden soll, drohend
herdorgetreten, daß niemand, der berufen sein könnte, zu helfen, sich dieser
Pflicht entziehen darf, kein Mensch und kein Institut, sicher nicht die Schule."
So schrieb ich in einem Aufsatz über pädagogische Zukunftsaufgaben, der
im August erschienen ist. Die Forderung ging über das, was als
„staatsbürgerliche Erziehung" Aufnahme gefunden hatte, erheblich hinaus;
für mich bedeutete sie das Aufgeben einer lange gehegten, oft und lebhaft
verfochtenen Ansicht: daß Politik nicht in die Schule gehöre. Da war es
nicht zu verwundern, daß unter nahen Freunden und Gesinnungsgenossen
mancher es ablehnte, den Wandel mitzumachen. Die Art, wie politische
Fragen in Parlament und Presse während des Krieges verhandelt wurden,
mochte freilich eher den Wunsch verstärken, von dergleichen Gezänk die
geistige Atmosphäre auch der erwachsenen Iugend rein zu erhalten; gelang
aber ein politischer Ilnterricht ohne streitbare Auseinandersetzungen, so
drohte von der andern Seite die Gefahr, daß öde Gesinnungskultur in
vorgeschriebener Richtung langweilig und geistlähmend sich breit mache.
Trotzdem hätte der Schritt gewagt werden müssen. Von der Regierung war
zu verlangen, daß sie die Einsicht und den Entschluß fände, das Notwendige
einzuleiten und vor Ausartung zu bewahren. Wir hofften auf Sieg uud
auf einen vermehrten Anteil des deutschen Volkes an der Aufgabe, die
Geschicke der Welt mitzubestimmen; das konnte nicht zum Guten geraten,
wenn wir bei dem Grade politischer Nnkenntnis und Amreife verharrten,
womit wir in den Krieg hineingetaumelt waren.

Dieser Schwierigkeit ist man jetzt allerdings überhoben. Aber was statt
dessen bevorsteht, daß wir aus der Ohnmacht uns emporarbeiten sollen,
einen geachteten Platz unter den Nationen der Erde allmählich wieder zu
gewinneu suchen, auch diese Aufgabe fordert, und wahrlich nicht in ge-
ringerem Grade, politisches Können, macht die Bildung politischer Ver-
standes- und Willenskräfte jedem zur Pflicht, der an den Schicksalen des
eignen Landes mit Bewußtsein tätigen Anteil nehmen will. And nun soll,
statt des früheren Obrigkeitstaates, ein Volkstaat Gestalt annehmen; ist von
dessen Regierung nicht zu erwarten, daß sie vorurteilslos tüchtigen Männern
volle Selbständigkeit gewähren und keinem Lehrer zumuten werde, im
Sinn eines bestimmten Programmes auf die Iugend zu wirken? — Grund-
sätzlich, gewiß. Doch die Geschichte aller Zeiten lehrt, und die kurze Ge°
schichte der deutschen Republiken hat es nur zu sehr schon bestätigt, wie
gerade im Aamen der Freiheit der ärgste Gewissensdruck ausgeübt werden
kann. Auch in Zukunft wird es nicht anders sein: jeder hat schließlich für
sich selber zu sorgen und wird, im geistigen Leben noch mehr als im wirt-
schaftlichen und staatlichen, gerade so vieler Freiheit sich erfreuen, als er mit
eigner Kraft zu behaupten vermag.

Aber muß nicht ein ehrlicher Mann für sich selbst an dem verzagen, was
er hier von sich sordern soll? Mit je regerem Anteil er das öffentliche
Leben begleitet, um so weniger wird es ihm möglich sein, Verhältnisse der
Gegenwart, die Parteien und ihre Kämpfe, die darin wirkenden Zwecke und
Grundsätze mit derjenigen strengen Sachlichkeit zu beschreiben, die zum
Wesen des wissenschaftlichen Anterrichtes gehört. — Sicher. And deshalb
 
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