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DER MEISTER DES HEILIGEN SEBASTIAN

Der Meister des heiligen Sebastian erweist sich ais ein von älteren
Vorbiidern so gut wie unbeeinfiußter Künstier, der es in seinem Haupt-
blatt, dem großen Sebastian (Nr. 4), zu einer bemerkenswerten Beherr-
schung des Nackten bringt. Dieser sicherlich nach dem Leben gezeich-
nete Akt ist von einem im XV. Jahrhundert unerhörten Reaiismus. Der
durchgebiidete Brustkorb, die stark hervortretende Muskuiatur der
Arme und Beine, die angespannten Adern, die auch auf anderen Stichen
für seine Eigenart sehr charakteristisch sind, endiich die Betonung der
an den Knieen sichtbaren Kugeigeienke der dort zusammenstoßenden
Knochen geben ihm etwas durchaus Persöniiches. Ein wenig konven-
tioneiier ist der Faitenwurf des zipfeüosen Lendentuches, von dem
Passavant sonderbarerweise behauptet, daß es an Schongauer erinnere.
Den Scheibennimbus, den der Stecher bei der Anna seibdritt und dem
Simon mit drei- bis vierfachem Rand umgibt oder gar mit Haibkreisen
ziert, hat er hier ganz fortgeiassen, weii er in störender Weise die
Unterarme und Hände des Heiiigen verdeckt haben würde. Aus ähn-
iichen künstierischen Bedenken unterdrückte er ihn auch beim heiiigen
Christoph (Nr. 3)F
Auch die PHanzen zu Füßen des heiiigen Sebastian verraten, trotz
ihrer bei einem Goidschmied erkiäriichen Neigung zur Symmetrie,
eine gewisse Naturbeobachtung. Sie sind den mehr stiiisierten auf der
Anna seibdritt weit überiegen und geben der Vermutung Raum, daß
wir in diesem Sticn wie in dem heiiigen Christoph erhebiich frühere
Arbeiten des Künstiers zu sehen haben. Auf der Rasenbank der Anna
seibdritt wachsen rein iineare Gräser, die am Rand den Umriß der
Bank durchschneiden, und die an ihrem Fuß iinks und rechts stehenden
Biattpfianzen schneiden mit dem unteren Horizontaikontur piötziich
ab, ais wüchsen sie nicht davor, sondern wären darunter festgekiemmt.^
Die Waidbäume im Hintergrund und die auf dem heiiigen Christoph
am Ufer iinks erinnern an die heuschober- oder bienenkorbförmigen
i Der Meister °C löste die Schwierigkeit dadurch, daß er auf seinen Seba-
stians-Martyrien L. 156 und 157 dem Heiligen einen durchsichtigen Strahlennimbus
gab. Der durchsichtige Ringnimbus kommt auf Kupferstichen oder Holzschnitten des
XV. Jahrhunderts niemals vor, sondern ist, wie hier nebenbei bemerkt sei, ein sicheres
Kennzeichen des XVI.
^ Vergl. Taf. 120.
 
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