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sonders ist Voltaire ein Meister, sich die Fesseln der Kunst
so leicht, so weit zu machen, daß er alle Freyheit behält,
sich zu bewegen, wie er will; und doch bewegt er sich oft
so plump und schwer, und macht so ängstliche Verdrehun-
gen, daß man meynen sollte, sedeö Glied von ihm sey an
em besonderes Klotz geschmiedet. Es kostet mir Ueberwin-
dung , ein Werk des Genies aus diesem Gesichtspunkte zu
betrachten; doch da es, bei; der gemeinen Klasse von Kunst-
richtern , noch so sehr Mode ist, es fast aus keinem andern,
als aus diesem, zu betrachten; da es der ist, aus welchem
die Bewunderer des französischen Theaters, das lauteste
Geschrey erheben: so will ich doch erst genauer Hinsehen,
ehe ich in ihr Geschrey mit einstimme.
i. Die Scene ist zu Messene, in dem Pallaste derMe-
rope. Das ist, gleich Anfangs, die strenge Einheit des
Ortes nicht, welche, nach den Grundsätzen und Beyspie-
len der Alten , ein Hedelin verlangen zu können glaubte.
Die Scene muß kein ganzer Pallast, sondern nur ein Theil
des Pallastes seyn, wie ihn das Auge aus' einem und eben
demselben Standorte zu übersehen fähig ist. Ob sie ein
ganzer Pallast, oder eine ganze Stadt, oder eine ganze
Provinz ist, das macht un Grunde einerlcy Ungereimtheit.
Doch schon Corneille gab diesem Gesetze, von dem sich oh-
nedem kein ausdrückliches'Gebot bey den Alten findet, die
weitere Ausdehnung, und wollte, daß eine einzige Stadt
zur Eurheit des' OrtcS hinreichend sey. Wenn er seine be-
sten Stücke von dieser Seite rechtfertigen wollte, so mußte
er wohl so nachgcbend seyn. Was' Cvrncillen aber erlaubt
war, daö muß Voltaire» Recht seyn. Ich sage also nictus
dagegen, daß eigentlich die Scene bald in dem Zimmer der
Königin, bald in dem oder icuem Saale, bald iu dem
Vorhofe, bald nach dieser bald nach einer andern Aussicht,
muß gedacht werden. Nur hätte er bey diesen Abweclsse
sonders ist Voltaire ein Meister, sich die Fesseln der Kunst
so leicht, so weit zu machen, daß er alle Freyheit behält,
sich zu bewegen, wie er will; und doch bewegt er sich oft
so plump und schwer, und macht so ängstliche Verdrehun-
gen, daß man meynen sollte, sedeö Glied von ihm sey an
em besonderes Klotz geschmiedet. Es kostet mir Ueberwin-
dung , ein Werk des Genies aus diesem Gesichtspunkte zu
betrachten; doch da es, bei; der gemeinen Klasse von Kunst-
richtern , noch so sehr Mode ist, es fast aus keinem andern,
als aus diesem, zu betrachten; da es der ist, aus welchem
die Bewunderer des französischen Theaters, das lauteste
Geschrey erheben: so will ich doch erst genauer Hinsehen,
ehe ich in ihr Geschrey mit einstimme.
i. Die Scene ist zu Messene, in dem Pallaste derMe-
rope. Das ist, gleich Anfangs, die strenge Einheit des
Ortes nicht, welche, nach den Grundsätzen und Beyspie-
len der Alten , ein Hedelin verlangen zu können glaubte.
Die Scene muß kein ganzer Pallast, sondern nur ein Theil
des Pallastes seyn, wie ihn das Auge aus' einem und eben
demselben Standorte zu übersehen fähig ist. Ob sie ein
ganzer Pallast, oder eine ganze Stadt, oder eine ganze
Provinz ist, das macht un Grunde einerlcy Ungereimtheit.
Doch schon Corneille gab diesem Gesetze, von dem sich oh-
nedem kein ausdrückliches'Gebot bey den Alten findet, die
weitere Ausdehnung, und wollte, daß eine einzige Stadt
zur Eurheit des' OrtcS hinreichend sey. Wenn er seine be-
sten Stücke von dieser Seite rechtfertigen wollte, so mußte
er wohl so nachgcbend seyn. Was' Cvrncillen aber erlaubt
war, daö muß Voltaire» Recht seyn. Ich sage also nictus
dagegen, daß eigentlich die Scene bald in dem Zimmer der
Königin, bald in dem oder icuem Saale, bald iu dem
Vorhofe, bald nach dieser bald nach einer andern Aussicht,
muß gedacht werden. Nur hätte er bey diesen Abweclsse