IV.
Geschichten.
Das Kind liebt Handlung. Ein etwas, das etwas tun kann, oder mit
dem etwas getan werden kann, interessiert es weit mehr als etwas für seinen
Vegriffskreis totes. Alle Kinder lieben „Geschichten". Man muß ihnen solche
erzählen, sie erzählen ja erfinden solche selber, sie stellen solche handelnd dar,
sie lesen solche aus Bildern ab, sie erzählen solche .in Bildern selber. Earl
Barnes kam zuerst auf die vortreffliche Idee, Kindern eine Geschichte zu erzählen
und ihnen dann die Aufgabe zu stellen, dieselbe zu „malen". Dieses in Kalifornien
zuerst gemachte Experiment wurde von ihm, von Sophia 5. partridge und
mir selber zwischen l897 und 1900 in England mehrfach wiederholt, und in
den Jahren l90l bis 1903 habe ich gleiche versuche in Sachsen gemacht.
Eine ganze Zahl von Gelehrten und Pädagogen haben uns dieses Experiment
nachgemacht, soweit ich feststellen konnte, allerdings in viel kleinerem Maßstabe
und leider ohne ihre eigenen Beobachtungen zu veröffentlichen. Es ist dies
um so mehr zu bedauern, als vergleichende Studien so überaus wertvoll sind.
Ls wurde von uns mit einer ganzen Anzahl von Erzählungen der versuch
gemacht. Dabei bewies sich die Geschichte vom „Hans-Guck-in-die-Luft" aus
dem Struwwelpeter H bisher als die praktischste. Die Mahl siel gerade auf
dieses Gedicht, weil es einfach und kurz ist und dabei doch zwei klare Katastrophen
enthält. Die Entstehung des Gedichts, die dem Leser wohl bekannt sein dürfte,
ließ auch erwarten, daß der Stoff richtig gewählt sei. Dem an dieser Stelle
leicht zu erhebenden Einwand, daß die Kinder die Illustrationen des Struwwel-
peters kennen und diese reproduzieren ist einfach damit entgegenzutreten, daß
einerseits diese beeinflußten Zeichnungen sofort zu erkennen sind, und daß
anderseits die umbildende Phantasie auch in solchen Zeichnungen spontane
Einfälle zuläßt. Es ist dies was Lamprecht treffend den „schöpferischen Funken
abändernder Nachahmung" nennt?) volkelt sagt auch, daß die nachbildende
9 Heinrich Hoffmann, Der Struwwelpeter.
2) Lamprecht, Moderne Geschichtswissenschaft, p. 118.
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Geschichten.
Das Kind liebt Handlung. Ein etwas, das etwas tun kann, oder mit
dem etwas getan werden kann, interessiert es weit mehr als etwas für seinen
Vegriffskreis totes. Alle Kinder lieben „Geschichten". Man muß ihnen solche
erzählen, sie erzählen ja erfinden solche selber, sie stellen solche handelnd dar,
sie lesen solche aus Bildern ab, sie erzählen solche .in Bildern selber. Earl
Barnes kam zuerst auf die vortreffliche Idee, Kindern eine Geschichte zu erzählen
und ihnen dann die Aufgabe zu stellen, dieselbe zu „malen". Dieses in Kalifornien
zuerst gemachte Experiment wurde von ihm, von Sophia 5. partridge und
mir selber zwischen l897 und 1900 in England mehrfach wiederholt, und in
den Jahren l90l bis 1903 habe ich gleiche versuche in Sachsen gemacht.
Eine ganze Zahl von Gelehrten und Pädagogen haben uns dieses Experiment
nachgemacht, soweit ich feststellen konnte, allerdings in viel kleinerem Maßstabe
und leider ohne ihre eigenen Beobachtungen zu veröffentlichen. Es ist dies
um so mehr zu bedauern, als vergleichende Studien so überaus wertvoll sind.
Ls wurde von uns mit einer ganzen Anzahl von Erzählungen der versuch
gemacht. Dabei bewies sich die Geschichte vom „Hans-Guck-in-die-Luft" aus
dem Struwwelpeter H bisher als die praktischste. Die Mahl siel gerade auf
dieses Gedicht, weil es einfach und kurz ist und dabei doch zwei klare Katastrophen
enthält. Die Entstehung des Gedichts, die dem Leser wohl bekannt sein dürfte,
ließ auch erwarten, daß der Stoff richtig gewählt sei. Dem an dieser Stelle
leicht zu erhebenden Einwand, daß die Kinder die Illustrationen des Struwwel-
peters kennen und diese reproduzieren ist einfach damit entgegenzutreten, daß
einerseits diese beeinflußten Zeichnungen sofort zu erkennen sind, und daß
anderseits die umbildende Phantasie auch in solchen Zeichnungen spontane
Einfälle zuläßt. Es ist dies was Lamprecht treffend den „schöpferischen Funken
abändernder Nachahmung" nennt?) volkelt sagt auch, daß die nachbildende
9 Heinrich Hoffmann, Der Struwwelpeter.
2) Lamprecht, Moderne Geschichtswissenschaft, p. 118.
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