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Levinstein, Siegfried; Lamprecht, Karl
Kinderzeichnungen bis zum 14. Lebensjahr: mit Parallelen aus der Urgeschichte, Kulturgeschichte und Völkerkunde — Leipzig: R. Voigtländer Verlag, 1905

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https://doi.org/10.11588/diglit.68897#0095
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VIII.
pädagogische Konsequenzen.
Die vorausgegangenen Untersuchungen zeigen deutlich, daß der Zeichen-
unterricht, wie er heute gehandhabt wird, mit der Entwicklung des Kindes
keineswegs übereinstimmt.
lvenn für das Kind Zeichnen Beschreibung und nicht Darstellung bedeutet,
so will es mit dem Bleistift etwas von dem Gegenstand erzählen. Es wird
den Gegenstand nicht seines Umrisses und seiner Form wegen anschauen, sondern
um ihn zu beschreiben. Interessiert ihn der Gegenstand nicht, so wird ihm
nichts daran liegen, ihn zu beschreiben- Würfel und Kegel, Vorlagen und stereo-
type Landschaften werden das rechte Interesse wahrscheinlich nicht wachrufen.
Selbst wenn das Objekt interessant ist, wird die Bleistiftbeschreibung roh und
fehlerhaft sein, da die unwichtigsten Details hineintreten. Die Schönheit der
Form wird verloren sein. Erlaubt man nun dem Kinde das Zeichnen in der
ihm natürlichen Weise, so kann man mit Hilfe derselben des Kindes Beobach-
tung und ästhetisches Gefühl viel fördern. Durch das Zeichnen könnte man
zudem oft weit mehr als durch Schreiben und Sprechen von dem wirklichen
Inhalt des Kinderkopfes erfahren.
Der Grundfehler liegt eben darin, daß man das Zeichnen nur als Kunst-
unterricht betrachtet und vergißt, daß es auch eine Sprache ist, wenigstens aus
der Elementarstufe. Ebenso wie die „Kunst" sich aus der Sprache entwickelte,
müßte man dem künstlerischen Zeichenunterricht durch ein „sprachliches" Zeichnen
die Wege ebnen. „Der begabte Schüler sollte, wie er in der wohlgesetzten
Muttersprache seine Gedanken ausdrückt, seine bildlichen Phantasien und Ein-
drücke wiedergeben lernen,- das Zeichnen sollte ihm zur mühelosen Formenschrift
werden/") Ich besitze von einer ganzen Knzahl Schüler spontane Zeichnungen,
welche ihre Gedanken ausdrücken und doch oft ein entschieden künstlerisches
Gepräge zeigen. Trotzdem haben viele dieser Kinder im Zeichnen die Zensur 4
y hirth, Ideen über Zeichenunterricht, p. 4.
Levinstein, Uinderzeichnungen
b 81
 
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