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ALS HOLZSCHNITTMEISTER UND MALER
UNTER HEILIGEN UND RITTERN, IM DIENST DER KIRCHE

UND DER FRAU WELT

Friedrich der Weise von Sachsen — unbestechlich inmitten einer der schnödesten
Bestechung zugänglichen Reichsfürstenschaft, friedfertig in einer leidenschaftlich
zu Streit und Fehde geneigten Welt, klug abwägender Politiker und eifrigei Förderer
derWissenschaften und Künste — war ein von Herzen frommer Herr. Er, der vom
Schicksal berufen wurde, in den heraufziehenden religiösen Kämpfen eine entscheidende
Rolle als Schützer der neuen evangelischen Lehre zu iibernehmen, wurzelte mit seiner oft
iibervorsichtigen, von Gemiit beschaulichen, durch und durch konservativen Natur tief wie
einer in den Vorstellungen des mittelalterlichen Kirchenwesens. Derselbe Mann, der in
seiner Schloßkirche einen leider verlorengegangenen Schatz von Gemälden deutscher,
niederländischer und italienischer Kiinstler vereinigte, war zugleich einer der größten
Sammler handfester kirchlicher Reliquien, die Jahr fiir Jahr zum Fest Allerheiligen, also
zum i. November, in eben seiner Allerheiligenkirche allen Gläubigen von nah und fern zur
Schau gestellt wurden.

Als der Kurfiirst den Plan faßte, auf das Jahr 1509 eine Art Katalog oder Fiihrer durch
seine weitberiihmte Reliquiensammlung an die Öffentlichkeit zu bringen, sah sich sein
Hofmaler Lukas gewiß nicht ungern mit der Aufgabe betraut, dies ,,Wittemberger
Heiligthumsbuch“ mit Holzschnitten zu illustrieren, die die ausgestellten Heiltümer so
anschaulich und lockend wie möglich einem heilverlangenden Publikum vor Augen stellen
sollten. Mehr als ein verwandter Zug verbindet das Wesen des Fürsten und seines ersten
Malers. Außer in ihrer Redlichkeit und in einer stillen Bedächtigkeit, die sich sehr wohl
mit der an Cranach gerühmten Umgänglichkeit vertrug, trafen sich die beiden Männer
ohne Frage damals wie künftig in der gleichgerichteten Art ihrer dem Herkommen ver-
bundenen Frömmigkeit.

Das Wittenberger Heiligtumsbuch gibt einen tiefen Einblick in die Geistes- und Glaubens-
verfassung jener Tage und verdient darum wohl eine mehr als bloß flüchtige Betrachtung.
Das Titelblatt zeigt in gewohnter Eintracht die zwei fürstlichen Brüder von Sachsen,
Friedrich und Johann — den Kurfürsten mit dem Rosenkranz in den Händen; auf der
Rückseite ist die Wittenberger Stifts- und Schloßkirche Allerheiligen in ihrer damaligen
Form abgebildet und der Titel lautet: ,,Die Zeigung des hochlobwürdigen Heiligthums der
Stiftskirche Aller Heiligen zu Wittemberg“.

Bot das ehrwürdige Gotteshaus mit seinen vielen Altären und wertvollen Gemälden
schon zu gewöhnlicher Zeit einen besonderen Anblick, so muß am Festtag Allerheiligen das

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