Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
IN SCHWERSTER PRÜFUNG UND BEWÄHRUNG

Unsere Kinder werden noch müssen den Spieß in die Hand nehmen, denn es wird
übel zugehen in Deutschland!" hatte sich kurz vor seinem Tod der Reformator
prophetisch vernehmen lassen. Ihm selber blieben die Greuel des Glaubenskrieges
erspart, die er in düsterer Abschiedsstimmung ahnte. In Eisleben, wo er ge-
boren war und im Februar 1546 Streitigkeiten der Gräflich Mansfeldischen Brüder zu
schlichten hatte, hörte in der Frühe des 18. Februar sein großes, feuriges Herz zu schlagen
auf. Am Abend vor seinem Tode, schon des Endes gewiß, hatte er sich noch fest und tapfer
wie immer zu der von ihm gepredigten Lehre bekannt. Von seinen Nächsten waren nur
seine zwei jüngeren Söhne und Justus Jonas um ihn.

Bald genug wird die Kunde vom Ableben Luthers nach Wittenberg gelangt sein und nicht
zuletzt einen so nahen Freund wie unseren Meister Lukas im Tiefsten getroffen haben. Er
war ja freilich des Abschiednehmens von teuren, ihm nahestehenden Menschen längst nicht
mehr ungewohnt. Welchen Kummer hatte ihm schon Ende 1536 der frühe Tod seines
hoffnungsvollen Ältesten in Bologna bereitet, und wie hatte ihm und seiner Frau damals
Luther so herzhaften Trost gespendet. Im Jahr 1541 verlor er seine langjährige Ehegefährtin
Barbara. Wie einst Stigel dem verstorbenen Hans, so hat ein Dichter Johann Richius aus
Hannover der Frau Barbara ein langatmiges lateinisches Trauergedicht gewidmet. Wir er-
fahren daraus nicht mehr über sie, als daß sie ihrem Mann ein gutes Eheweib, ihren Kindern
eine gute Mutter und Erzieherin gewesen sei. Und nun traf den vierundsiebzigjährigen
Meister der Verlust des Mannes, mit dem er persönlich und durch sein ganzes Lebenswerk
aufs innigste verbunden war! Der zugleich das Riesenwerk der Reformation — doch immer
wieder fast allein — auf seinen Schultern getragen hatte! Es läßt sich unschwer erraten,
wieviel Schmerz und Sorge und wehmütige Erinnerung den alten Maler umdüstern wollten.
Es läßt sich auch erraten, daß der allzeit Tätige jetzt erst recht in seinem künstlerischen
Schaffen Trost und Ablenkung suchte. Wo hätte er sie besser finden sollen als in jener natur-
frommen Märchenwelt, in der sich so vielgestaltige und farbenreiche und heitere Träume
ausspinnen ließen, wie etwa in dem just in Luthers Todesjahr gemalten ,, Jungbrunnen“ ?
Sein Jungbrunnen war und blieb seine-Kunst!

Nur zu bald sollte das von Luther ahnend vorausgesagte Kriegsgewitter nicht mehr bloß
unheildrohend amHorizont stehen, sondern sichverhängnisvoll zusammenziehen und entladen.

Karl V. — Jahr um Jahr durch außenpolitische Verwicklungen und innere Schwierigkeiten
in lange gehegter Absicht gehemmt — hielt die Stunde für gekommen, die widerwärtige

88
 
Annotationen