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IN GOTTES DEUTSCHEM MÄRCHENGARTEN

D

ie Natur in ihrer Vielfältigkeit, die deutsche Landschaft in der Lieblichkeit ihrer
flußdurchsilberten Täler, im Stolz ihrer burggekrönten Berge, im geheimnisvollen
Blätterdunkel ihrer Wälder, alles, was darinnen grünt und blüht, kreucht und
fleucht •— das war von kleinauf dem Kind des Frankenwalds ans Herz gewachsen.
Die Wanderschaft ins Donauland und in die Niederlande hat dem jungen Maler erst recht
den angeborenen Blick für offene und verborgene Schönheit geschärft und geweitet. Das
in Heimat und Fremde Geschaute nahm er als unverlierbaren Besitz in die naturdürftige
Residenz an der Elbe mit. Durstig mag der Hofmaler auf seinen vielen Berufsfahrten nach
den sächsischen und thüringischen Schlössern oder als unermüdlicher Gefährte der fürst-
lichen Jäger immer aufs neue das nicht zu ersättigende Künstlerauge an Feld und Forst,
an verschwiegenen Wiesengründen, an sickernden und rauschenden Bächlein, an felsen-
schroffen und waldumschmiegten Höhen gelabt haben, um sein altes, wertbeständiges
Eigentum von Natureindrücken aufzufrischen, zu stärken und zu mehren.

Nicht zufällig hat uns noch eben ein minutiöser Landschaftsausblick wie der auf das
nächtige, sternüberfunkelte Feld, auf dem den Hirten unweit des Stalls zu Bethlehem Engels-
botschaft verkündigt wurde, zu staunendem Verweilen eingeladen. Die „Andacht zum
Kleinen", die man als vornehmstes Wesensmerkmal einem großen deutschen Lyriker des
19. Jahrhunderts nachgerühmt hat — dieKunst, im Kleinen und Kleinsten die weite, klingende
Seele der Natur zu fassen und anzusprechen — war in besonderem Maße auch unserem
Meister Lukas eigen. Der Mann, der sich mit nieversagender Liebe als Bildnismaler in die
Rätselzüge des menschlichen Angesichts versenkte, um das Persönliche zu ergründen; der
mit kindhafter Entdeckerfreude um die Schönheit des nackten Menschenleibes rang; der
mit andächtigem Gemüt sich von der alten zur neuen christlichen Lehre durchkämpfte und
den Schatz des Glaubens wie der humanistischen Bildung der Zeit ins Bild zu übersetzen
bestrebt war — er vertiefte sich hingebend in die Wunder von Gras und Halm, Blatt und
Blume und aller lebenden Kreatur. Man weiß, wie kindlich-einfältig sein gewaltiger Freund
Luther zu Zeiten des kleinsten Lebewesens froh werden und zutunlich wie zu seinesgleichen
mit ihm reden konnte. Diese kostbare, vertrauliche Kindlichkeit war auch dem Meister
Lukas gegeben und macht mit sein deutschestes Teil aus.

Wo es nur anging, ob er malte oder zeichnete, setzte ef die unbewußte Natur ins Spiel.
Wir sahen, wie er immer wieder die ernstesten, ja die grausigsten Vorgänge landschaftlich
ausstattete und über der sorgfältigsten Ausmalung der Mittel- und Hintergründe fast das

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