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Geschehen im Vordergrund vergessen ließ, einer Madonna oder einer heiligen Sippe oder
biblischen Geschichte wenigstens einen Ausblick in verträumte Fernen gab. Rehe und
Hirsche, Fasanen und Rebhühner, Getier jeder Art sprang ihm unter der Hand vor und
spielte sich ins Bild. Wir sahen, wie er im „Gebetbuch des Kaisers Maximilian" seiner Tier-
liebe die Zügel schießen ließ und auf den „Turnieren" Pferde in den verschiedensten und
schwierigsten Stellungen des ritterlichen Kampfes zeichnete. Von den Jagdausfiügen, die
er mit seinen sächsischen Fürsten machte, brachte er Blätter mit Tierstudien mit. Einige
davon sind auf uns gekommen. So etwa ein Paar Seidenschwänze in Deckfarbenmalerei
— in der Durchzeichnung des samtzarten Gefieders und in der weichen Farbtönung vollendete
Stücke ihrer Art. Auf anderen Blättern gibt es ein Gimpelpaar, eine Mandelkrähe oder ein
gefiecktes Wildschwein •— je mit der Feder gezeichnet, die entsprechenden Farben laviert.

Cranachs Naturfrömmigkeit, seine Fabulierlust feiert recht eigentlich ihren Triumph auf
einem Gemälde von 1530, das die biblische Geschichte vom „Paradies“ erzählt.

Man muß dieses Bild im Wiener Kunsthistorischen Museum als Ganzes der Komposition
und der Farbe, aber ebenso in allen seinen unzähligen, köstlichen Einzelheiten des Pflanz-
lichen und Figürlichen auf sich wirken lassen, um die verschwenderische Phantasie wie die
im Kleinsten große Kunst des damals achtundfünfzigjährigen Meisters nach Gebühr zu
würdigen. Gewiß •— auch hier ist in echt mittelalterlicher Weise das Nacheinander des Ge-
schehens im naiven Nebeneinander abgewandelt, so daß auf einer und derselben Tafel dem
ersten Menschenpaar das Paradies zugewiesen und es schließlich vom Engel mit dem feurigen
Schwert aus dem Garten Eden vertrieben wird. Wer hei solchen stilgeschichtlichen Er-
wägungen hängenbleibt, wird nie zum schöpferischen Eigenwert der Leistung vordringen.
Die tiefsinnige biblische Geschichte ist, was mir viel wichtiger scheint, auf dieser verhältnis-
mäßig so kleinen, nur etwas über einen Meter langen, über achtzig Zentimeter hohen Tafel
etwas durchaus Neues geworden. Sie ist ganz und gar in eine wunderhafte Märchenwelt
entrückt, die ihre Schwere aufhebt. Was gibt es in diesem Gottesgarten alles zu schauen!
Da ist eine weite, wellige Wiese, über und über mit Blumen besät; da sind Sträucher und
fruchtbeladene Obstbäume, hinter denen der dichte Wald dunkelt; da ist ein blauer See,
hinter dem sich silbergraue Felsen aufbauen und eine selige, unendliche, himmelüberblaute
Ferne. Zwei Rehe jagen über den Plan, andere begegnen sich vor dem Busch; weiße Hirsche
äsen und lagern. Unter einem munter trabenden Füllen lugt zutraulich ein Kalb vor. Fasanen
und Rebhühner, Störche, Reiher und Schwäne treiben ihr friedliches Wesen. Und in dieser
winzigen, scharfgezeichneten, farbigen Kleinwelt spielt sich ■—- Märchen im Märchen •— die
Geschichte von Adam und Eva ab. Der liebe Gott im roten Mantel und blauen Unterkleid,
ein silberbärtiger alter Herr wie der Künstler selber, hebt im Hintergrund Eva aus der Rippe
des Adam und spricht im Vordergrund sanft belehrend zu seinen ersten Menschen. Wer
fühlt nicht erst recht die überlegene Schelmerei, wenn •— wieder weiter zurück — Eva, hinter
dem Apfelbaum vor, die verführerische Frucht hinbietet und gleich dabei kokett zuschaut,
wie ihr Adam unter sichtlichen Skrupeln und mit sichtlichem Genuß die Sündenfrucht zum

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