wohnlich sei, mit getäfelter, traulicher Stube,
ausgestattet mit schön gearbeiteten Möbeln,
wohlgeformtem Gerät, Erzeugnissen farben-
prächtiger Keramik und den Bildnissen der
Besitzer.
Die Plastik erreichte zwischen 1470 und 1530,
d. h. in der Zeit, die mit der Lebenszeit Dürers
zusammenfällt, in Deutschland eine Höhe,
die nur noch mit der gewaltigen plastischen
Leistung des 13. Jahrhunderts verglichen wer-
den kann. In allen deutschen Gauen - im
Südosten und in Bayern, in Franken und
Schwaben, am Rhein, an der Ostsee und in
Mitteldeutschland - brach ein Reichtum pla-
stischen Schaffens hervor, den wir in seinem
ganzen Umfang erst in jüngster Zeit einiger-
maßen zu sehen gelernt haben. Hier schlägt
uns ein heißer Atem entgegen, der renaissance-
mäßige Ruhe, Harmonie, Klarheit und Ge-
lassenheit nur selten zu Wort kommen läßt;
hier treten die brodelnden Kräfte der Zeit so
unverhüllt und mit solcher Ausschließlichkeit
zutage wie auf keinem anderen Gebiet der
Kunst, auch nicht dem der Malerei. Der Haupt-
gegenstand der Plastik ist der Mensch, und mag
solche Vernachlässigung des Reichtums der Weit
und Konzentration auf den Menschen allein im
Vergleich zu den Möglichkeiten der Malerei auch
Beschränkung bedeuten, so bedeutet sie auf
der anderen Seite vertiefte Versenkung in den
Menschen und in das, was ihn bewegt. Als Kün-
derin und Gestalterin seelischer Ergriffenheit der deutschen Menschen jener Tage ist die Plastik um eine
Generation früher auf den Plan getreten als die Malerei, und nicht in dieser, sondern in der Plastik liegen
die Voraussetzungen für die scheinbar so unvermittelte Leistung von Dürers Apokalypse, in der plötzlich
etwas ausgesprochen wurde, was auszusprechen bisher nur der Plastik Vorbehalten gewesen war.
Die deutsche Malerei schien in den beiden Jahrzehnten von 1430 bis 1450 auf ihre Art jene Wendung zu
einer neuen Wirklichkeitsbeobachtung mitmachen zu wollen, wie sie sich damals in so kühner und mittel-
alterliche Gebundenheit sprengender Weise in Italien und den Niederlanden vollzog. Aber die zweite Hälfte
des 15. Jahrhunderts hielt nicht, was jene beiden Jahrzehnte versprochen hatten, und die deutsche Malerei
geriet in mattem Sichgehenlasscn weithin unter die Einwirkung der niederländischen. Erst um die Wende
zum 16. Jahrhundert war ihre große Zeit gekommen, und Cranach hat mitgeholfen, sie heraufzuführen. In
diesen jähen Aufstieg wurden auch die graphischen Künste, Holzschnitt und Kupferstich, mit emporge-
rissen, die j etzt in Deutschland am Gesamtschaffen einen Anteil von solchem Umfang und solcher Bedeutung
erhielten wie in keinem anderen Lande Europas. Hatten erst ganz am Ende des 15. Jahrhunderts sich einige
Maler zu diesen neuen, sonst von anonymen Spezialisten betriebenen Techniken bereit gefunden, die in einer
bisher nicht gekannten Demokratisierung dem Künstler gestatteten, eine Zeichnung zu vervielfältigen, so
erachteten jetzt fast alle deutschen Maler von Rang die Graphik für wert, bei verfeinerter Technik den
vollen Strom ihrer Vorstellungen, Wirklichkeitsbeobachtungen und Gefühle aufzunehmen - auch Cra-
nach. Ja in der Graphik werden mitunter die Herztöne der Zeit deutlicher vernehmbar als in der Malerei.
13. Schächer am Kreuz • Zeichnung • Um 1500
18
ausgestattet mit schön gearbeiteten Möbeln,
wohlgeformtem Gerät, Erzeugnissen farben-
prächtiger Keramik und den Bildnissen der
Besitzer.
Die Plastik erreichte zwischen 1470 und 1530,
d. h. in der Zeit, die mit der Lebenszeit Dürers
zusammenfällt, in Deutschland eine Höhe,
die nur noch mit der gewaltigen plastischen
Leistung des 13. Jahrhunderts verglichen wer-
den kann. In allen deutschen Gauen - im
Südosten und in Bayern, in Franken und
Schwaben, am Rhein, an der Ostsee und in
Mitteldeutschland - brach ein Reichtum pla-
stischen Schaffens hervor, den wir in seinem
ganzen Umfang erst in jüngster Zeit einiger-
maßen zu sehen gelernt haben. Hier schlägt
uns ein heißer Atem entgegen, der renaissance-
mäßige Ruhe, Harmonie, Klarheit und Ge-
lassenheit nur selten zu Wort kommen läßt;
hier treten die brodelnden Kräfte der Zeit so
unverhüllt und mit solcher Ausschließlichkeit
zutage wie auf keinem anderen Gebiet der
Kunst, auch nicht dem der Malerei. Der Haupt-
gegenstand der Plastik ist der Mensch, und mag
solche Vernachlässigung des Reichtums der Weit
und Konzentration auf den Menschen allein im
Vergleich zu den Möglichkeiten der Malerei auch
Beschränkung bedeuten, so bedeutet sie auf
der anderen Seite vertiefte Versenkung in den
Menschen und in das, was ihn bewegt. Als Kün-
derin und Gestalterin seelischer Ergriffenheit der deutschen Menschen jener Tage ist die Plastik um eine
Generation früher auf den Plan getreten als die Malerei, und nicht in dieser, sondern in der Plastik liegen
die Voraussetzungen für die scheinbar so unvermittelte Leistung von Dürers Apokalypse, in der plötzlich
etwas ausgesprochen wurde, was auszusprechen bisher nur der Plastik Vorbehalten gewesen war.
Die deutsche Malerei schien in den beiden Jahrzehnten von 1430 bis 1450 auf ihre Art jene Wendung zu
einer neuen Wirklichkeitsbeobachtung mitmachen zu wollen, wie sie sich damals in so kühner und mittel-
alterliche Gebundenheit sprengender Weise in Italien und den Niederlanden vollzog. Aber die zweite Hälfte
des 15. Jahrhunderts hielt nicht, was jene beiden Jahrzehnte versprochen hatten, und die deutsche Malerei
geriet in mattem Sichgehenlasscn weithin unter die Einwirkung der niederländischen. Erst um die Wende
zum 16. Jahrhundert war ihre große Zeit gekommen, und Cranach hat mitgeholfen, sie heraufzuführen. In
diesen jähen Aufstieg wurden auch die graphischen Künste, Holzschnitt und Kupferstich, mit emporge-
rissen, die j etzt in Deutschland am Gesamtschaffen einen Anteil von solchem Umfang und solcher Bedeutung
erhielten wie in keinem anderen Lande Europas. Hatten erst ganz am Ende des 15. Jahrhunderts sich einige
Maler zu diesen neuen, sonst von anonymen Spezialisten betriebenen Techniken bereit gefunden, die in einer
bisher nicht gekannten Demokratisierung dem Künstler gestatteten, eine Zeichnung zu vervielfältigen, so
erachteten jetzt fast alle deutschen Maler von Rang die Graphik für wert, bei verfeinerter Technik den
vollen Strom ihrer Vorstellungen, Wirklichkeitsbeobachtungen und Gefühle aufzunehmen - auch Cra-
nach. Ja in der Graphik werden mitunter die Herztöne der Zeit deutlicher vernehmbar als in der Malerei.
13. Schächer am Kreuz • Zeichnung • Um 1500
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