früheren Jahre zu vergleichen, um dann zu einer abschätzigen Beurteilung jener zu kommen. Wir kennen
es aus den Erfahrungen unserer Tage, wie schwer es gerade dem bildenden Künstler wird, die Erlebnisse
seiner unmittelbaren Gegenwart künstlerisch wirklich durchzuarbeiten, und wissen, wie weit die Ge-
staltungsweise oft hinter der Darbietung des Erlebnisstoffes zurückbleibt. Gerade die protestantische
Lehre hot einer künstlerischen Sublimierung besondere Schwierigkeiten, ganz abgesehen davon, daß
Cranach fast die Fünfzig erreicht hatte, als sie in seinen Gesichtskreis trat. Wenn er unter persönlicher
Anleitung der Reformatoren die neue Lehre vom Bereich des Wortes in den der Anschauung übertrug,
so hat er sich damit ein großes Verdienst um ihre Propagierung erworben, wenn auch die künstlerische
Leistung als solche nicht von Belang war.
Gegen keinen der Hauptmeister der Dürerzeit sind von der neueren Kunstgeschichtsschreibung so viele
Vorwürfe erhoben worden wie gegen Cranach. Sie betreffen besonders die letzten Jahrzehnte und ihren
Werkstattbetrieb, deren Schwäche in der Tat darin besteht, auf die erregende und neue Gestaltungs-
kräfte weckende Wirkung des Naturvorhildes weitgehend verzichtet zu haben. Es besteht kein Anlaß,
dies zu beschönigen, hat sich doch gerade in unserer Zeit herausgestellt, wohin die Vernachlässigung der
Wirklichkeitsbeobachtung zu führen vermag. Doch über dem Negativen von Cranachs Spätzeit darf
das Positive nicht übersehen werden. Dazu gehört nicht zuletzt die Tatsache, daß aus dieser Werkstatt
der jüngere Cranach hervorgegangen ist, der nur durch die dort empfangene Ausbildung im Technischen
und Geistigen in den Stand versetzt wurde, ein Bild zu malen wie das der Stadtkirche zu Weimar, ein
so umfassendes Stück deutschen Geisteslebens repräsentierend, daß ihm in jener kargen Zeit deutscher
Malerei kaum ein anderes an die Seite gestellt werden kann.
Nehmt alles nur in allem: mag Cranach auch nicht den inneren Reichtum und die künstlerische Zucht
Dürers besessen haben, nicht die Kraft und Leidenschaft Grünewalds oder die Klarheit und das hohe
Gleichmaß Holbeins - so darf er doch trotz aller kritischen Einwendungen unbedenklich neben jenen
Großen genannt werden, denn sein vielseitiges Werk führt uns mitten hinein in die künstlerischen,
religiösen und geschichtlichen Fragen einer der reichsten und bewegtesten Zeiten im Leben unserer
Nation.
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es aus den Erfahrungen unserer Tage, wie schwer es gerade dem bildenden Künstler wird, die Erlebnisse
seiner unmittelbaren Gegenwart künstlerisch wirklich durchzuarbeiten, und wissen, wie weit die Ge-
staltungsweise oft hinter der Darbietung des Erlebnisstoffes zurückbleibt. Gerade die protestantische
Lehre hot einer künstlerischen Sublimierung besondere Schwierigkeiten, ganz abgesehen davon, daß
Cranach fast die Fünfzig erreicht hatte, als sie in seinen Gesichtskreis trat. Wenn er unter persönlicher
Anleitung der Reformatoren die neue Lehre vom Bereich des Wortes in den der Anschauung übertrug,
so hat er sich damit ein großes Verdienst um ihre Propagierung erworben, wenn auch die künstlerische
Leistung als solche nicht von Belang war.
Gegen keinen der Hauptmeister der Dürerzeit sind von der neueren Kunstgeschichtsschreibung so viele
Vorwürfe erhoben worden wie gegen Cranach. Sie betreffen besonders die letzten Jahrzehnte und ihren
Werkstattbetrieb, deren Schwäche in der Tat darin besteht, auf die erregende und neue Gestaltungs-
kräfte weckende Wirkung des Naturvorhildes weitgehend verzichtet zu haben. Es besteht kein Anlaß,
dies zu beschönigen, hat sich doch gerade in unserer Zeit herausgestellt, wohin die Vernachlässigung der
Wirklichkeitsbeobachtung zu führen vermag. Doch über dem Negativen von Cranachs Spätzeit darf
das Positive nicht übersehen werden. Dazu gehört nicht zuletzt die Tatsache, daß aus dieser Werkstatt
der jüngere Cranach hervorgegangen ist, der nur durch die dort empfangene Ausbildung im Technischen
und Geistigen in den Stand versetzt wurde, ein Bild zu malen wie das der Stadtkirche zu Weimar, ein
so umfassendes Stück deutschen Geisteslebens repräsentierend, daß ihm in jener kargen Zeit deutscher
Malerei kaum ein anderes an die Seite gestellt werden kann.
Nehmt alles nur in allem: mag Cranach auch nicht den inneren Reichtum und die künstlerische Zucht
Dürers besessen haben, nicht die Kraft und Leidenschaft Grünewalds oder die Klarheit und das hohe
Gleichmaß Holbeins - so darf er doch trotz aller kritischen Einwendungen unbedenklich neben jenen
Großen genannt werden, denn sein vielseitiges Werk führt uns mitten hinein in die künstlerischen,
religiösen und geschichtlichen Fragen einer der reichsten und bewegtesten Zeiten im Leben unserer
Nation.
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