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Obrigkeit mehr sein, sondern ganz abgetan werden, ein jeder des anderen Bruder sein, sein Brot mit
eigenen Händen gewinnen und keiner mehr als der andere haben sollte. Alle Zinse, Gülten, Besthaupt,
Handlohn, Zoll, Steuer, Bed, Zehent und andere Abgaben und Dienstleistungen sollen abgetan und
Wälder, Wasser, Brunnen und Weiden allenthalben frei sein. Die chiliastischen Ideen waren Zaubertöne
für den gemeinen Mann. Noch begieriger als bisher strömte jetzt aus allen naheliegenden Orten das Volk
zu dem Propheten... Handwerksgesellen liefen aus den Werkstätten, Bauernknechte vom Pflug, Gras-
mägde mit den Sicheln vom Felde weg, ohne allen Urlaub ihrer Herren und Obrigkeiten, und wall-
fahrteten, angetan wie sie waren, als sie der Geist der Schwärmerei oder Neugier ergriff, nach Niklas-
hausen.“ Cranach hat offenbar eine solche Versammlung von Ausgebeuteten und Elenden dargestellt -
nicht eine zu Niklashausen, selbstverständlich, sondern den für die Zeit um 1500 typischen Vorgang,
daß sich verzweifelte, auf einen neuen Johannes hoffende Bauern und Plebejer zusammenrotteten. Sein
Volksprediger spricht mit fanatischem Ernst zu der Menge, die sich von seinen Mahnungen mitgerissen
zeigt. Die Szene ist nicht am Jordan, sondern in einem deutschen Wald; das nationale Moment und die
Beziehung zu den zeitgenössischen Kämpfen sind dadurch noch betont.

Auch in der Gestaltung des Themas der reformatorischen Volkspredigt hatte Cranach Vorläufer, so
z. B. den Schweizer Hans Fries, der 1506 als Stadtmaler von Freiburg i. Ü. die Außenflügei eines
Antoniusaltars geschaffen hat. In dem erwähnten Buch von Georg Schmidt liest man die folgende Schil-
derung dieses Predigtbildes: „In der Antonius-Predigt des Hans Fries . . . fühlen wir uns zum ersten
Mal vom Atem der nahen Reformation berührt. Mitten auf dem Platz einer Stadt hat der Mönch
Antonius seine Kanzel aufgestellt. Seine predigenden Hände sind nicht harmlos belehrend . . ., sondern
heftig anklagend, und sein Gesicht ist fanatisch verzerrt, nicht väterlich mahnend. Und unter den Zu-
hörern zu seinen Füßen ist nicht ein Gesicht, das vom Gehörten nicht in irgendeiner Weise betroffen
wäre . . . Vor dem Hause des Reichen aber stehen zwei vornehme Kaufleute, die Arme verschränkt
als Ausdruck der Verschlossenheit gegenüber dem Gehörten, und der links schaut den andern an, wie
wenn er sagen wollte: ,Jetzt aber ist es an der Zeit, diesem volksaufrührerischen Unfug ein Ende zu
machen4 . . . Zu Häupten des Antonius aber liegen adelige Damen und Herren in den Fenstern ihres
Palastes und blicken auf das Treiben des Bürgervolkes hinab, als ginge sie das nichts an. Und auf dem
rechten Flügel oben die bewegte Sterbeszene des reichen Mannes und unten die grausige Auffindung
des Herzens in der überquellenden Geldkiste. Präziser ließe sich der soziale Gehalt der Reformations-
bewegung in den mitteleuropäischen Städten zu Beginn des 16. Jahrhunderts nicht bezeichnen . . .“
Cranach ging über das offenbar zunftbürgerlich-reformatorische Altarbild des Hans Fries hinaus, indem
er - wie wir gesehen haben - die bäuerisch-plebejische Ketzerei, zum Inhalt seines Holzschnittes machte.

*

Zur Ketzerei in dem umfassenden Sinn einer Erhebung des Volkes gegen das Feudalsystem zählt auch
der Humanismus mit der ihm innewohnenden, ihn wesentlich befruchtenden und lenkenden Vorstellung
von der Wiedergeburt, der Renaissance der antiken Kultur. Wenn auch die humanistischen Errungen-
schaften zum Teil von der Kirche aufgesogen wurden und nicht wenige humanistische Gelehrte, nach-
dem sie zu äußerem Erfolg gekommen waren, ihren Frieden mit den Feudalgewalten schlossen, so war
doch der Humanismus im Grundzug die wissenschaftliche Ideologie des antifeudalen Bürgertunis, eine
Bewegung gegen die überalterte, erstarrte Scholastik, ein Ringen um die Erneuerung, Verweltlichung
und Vermenschlichung der Wissenschaft, die zu einem brauchbaren Instrument in den Händen der auf-
strebenden Schichten werden sollte. Ebenso wie - nach Engels - das Geld „ein Gleichmachungshobel
des Bürgertums“ war, indem es die feudale Hierarchie mit ihren angeblich gottgewollten Standesunter-
schieden erschütterte, war auch die Bildung ein antifeudales, demokratisierendes Element. Als ein be-
sonders schlagendes Beispiel für die Verweltlichung und Verbürgerlichung der Wissenschaft nennt Fried-
rich Engels in einem nachgelassenen Manuskript den aufkommenden Stand der Juristen: „Mit der
Wiederentdeckung des römischen Rechts trat die Teilung der Arbeit ein zwischen den Pfaffen, den
Rechtskonsulenten der Feudalzeit, und den nicht geistlichen Rechtsgelehrten. Diese neuen Juristen

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