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Schlaf geweckt wird, um die vor ihm stehenden nackten Göttinnen zu begutachten. In den Jahren
1512/14 folgte ein Gemälde mit demselben Thema. Und wir besitzen aus dieser Zeit einen gereimten
lateinischen Bericht des humanistischen Poeten Philipp Engelbrecht, wonach Cranach 1513 gelegentlich
einer Fürstenhochzeit im Torgauer Schloß ein Brautbett mit einer ganzen Musterkollektion von anti-
kischen Motiven schmückte, darunter Venus und Amor, das Parisurteil, Apollo und Marsyas, die Äpfel
der Hesperiden, verschiedene Szenen aus der Herkulessage und Lucretia.

In Deutschland und zumal in dem, wie man zu sagen pflegte, an der Grenze der Zivilisation gelegenen
Wittenberg erfolgte dieser Rückgriff auf die Antike natürlich nicht aus der eigenen Tradition heraus
wie in Italien. Jacopo de’ Barbari, der in Wittenberg tätig war, als Cranach dort Hofmaler wurde, mag
einige Vorbilder geliefert haben. Dürer stand in enger Verbindung mit Wittenberg, nachdem er
schon in Italien gewesen war und typische Renaissancethemen bearbeitet hatte. In den Niederlanden
lernte Cranach eine Malerei kennen, die von der italienischen Renaissance beeinflußt war, und sah viel-
leicht auch italienische Gemälde. Vor allem aber wirkte bei der Wahl der Themen sein dauernder Verkehr
mit den Trägern und Lehrern der neuen Bildung, den humanistischen Akademikern.

Das Bündnis zwischen Malern und Gelehrten ist typisch für das 16. Jahrhundert; wir erinnern an die
bekannten Beispiele aus dem Leben Dürers, Holbeins und Baidung Griens. Italien, wo ein Leonardo
da Vinci diese Allianz in eigener Person verkörperte, war darin voraus. Doch treten uns gerade in den
Altersgenossen Dürer und Cranach die ersten in einem engeren Sinn „humanistischen“ deutschen Künst-
ler entgegen, allerdings in verschiedenem Stärkegrad. Bei Dürer sehen wir die tiefe wechselseitige
Durchdringung von Kunst und Wissenschaft, die Engels veranlaßt hat, den Nürnberger Meister als
einen der Vielseitigen des Renaissancezeitalters neben Leonardo zu den „Riesen an Denkkraft, Leiden-
schaft und Charakter“ zu zählen. Zu Melanchthon äußerte Dürer einmal: „Ein ungelehrter Mensch ist
wie ein ungeschliffener Spiegel.“ Er wollte die Wirklichkeit geschliffen widerspiegeln, d.h. als denkender,
theoretisch geschulter, am wissenschaftlichen Fortschritt schöpferisch anteilnehmender Künstler. Anders
war es bei Cranach. Wir haben keine Belege dafür, daß er in ähnlicher Weise wie Dürer um die Wissen-
schaft gerungen hätte. Seine Beziehungen zum Humanismus und zu den Humanisten waren offenbar
doch mehr empfangender als aktiver Art. Nichtsdestoweniger trugen sie wesentlich zur Ausprägung
seiner Persönlichkeit und zur Absteckung seines Themenkreises bei.

Zu Cranachs frühesten Bildern gehören zwei Gelehrtenbildnisse, das des Dr. Johannes Cuspinian Bilder 20,19
und das des Dr. Stephan Reuß. Unzweifelhaft war der dreißigjährige Maler um 1502 in Wien mit dem
Kreis um den fränkischen Humanisten Celtis in enger Berührung, zu dem Cuspinian als eine der füh-
renden Persönlichkeiten gehörte. Die Wiener Universität und die berühmte Donaugesellschaft beschäf-
tigten und förderten den Künstler, der auch für Cuspinians Verleger Winterburger arbeitete. Das Leben
in Wittenberg brachte dann eine Fortsetzung dieses Verkehrs mit den Humanisten, dem vielleicht
überhaupt die Berufung Cranachs in die Stadt der damals jüngsten Universität zu danken war. An der
Elbe stand Cranach in einem ausgedehnten und vertrauten Umgang mit den Professoren und Magistern
der Artisten- und der Juristenfakultät. Man braucht nur an den Nürnberger Christoph Scheurl zu
denken, der 1509 eine akademische Festrede mit einem lateinischen Widmungsbrief an Cranach er-
scheinen ließ, der im Stil der Zeit mit antikischen Anspielungen reich versehen ist. Dem Büchlein sind
lateinische Freundschaftsverse von dem Gekrönten Dichter Riccardus Sbrulius, dem Philologen und
Juristen Otto Beckmann, dem Philosophen und späteren Reformator Andreas Bodenstein von Karl-
stadt, dem nachmaligen Kanzler Christian Bayer beigefügt. Schon 1507 hatte der Magister und Ge-
krönte Dichter Georgius Sibutus Daripinus, ein Celtis-Schüler, Cranach in einem lateinischen Gedicht
rühmend genannt. Auch der Breslauer Humanist Johann Heß war nachweislich mit Cranach befreundet,
und Caspar Ursinus Velius hat Epigramme auf Cranachsche Bilder geschrieben. Solchen Beziehungen
bis in die Einzelheiten nachzugehen, wäre eine lohnende Forschungsaufgabe. Doch kommt es darauf
hier nicht an. Festzustellen ist insgesamt eine weitreichende Verbundenheit Cranachs mit den fort-
schrittlichen wissenschaftlichen Kräften seiner Zeit.

Ebenso wie Cranachs refortnatorisch-theologische wurzelt auch seine antikische Malerei in der Periode

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