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Mathy, Ludwig
Studien zur Geschichte der bildenden Künste in Mannheim im 18. Jahrhundert: Architektur und Sculptur — Mannheim, 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.8038#0033
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— 27 —

Gebälk, der dorischen, jonischen, korinthischen, toskanischen und der Komposit - Ordnung, meist
in Verbindung mit den römischen Gewölbesystemen, dem Tonnengewölbe, Kreuzgewölbe und
der Kuppel. Andrea Palladio aber (1508—1580, schrieb „Quattro libri delParchitettura") war
der siegreiche Vorkämpfer dieses Stiles, den man nach ihm Palladiauismus nennen darf. Diese
Formen zogen siegreich durch die Welt und verdrängten die mittelalterlichen Formen roma-
nischer und gotischer Herkunft, nachdem der Versuch in Frankreich wie in Deutschland ge-
macht war, zwischen der phantastischen, willkürlichen Gotik und der systematischen Antike
zu vermitteln. Namentlich in Frankreich und durch Vermittelung der nach der Aufhebung
des Ediktes von Nantes ausgewanderten Hugenotten in den protestantischen Ländern des
Nordens, auch in Norddeutschland, erlangte der Palladianismus die Alleinherrschaft; er drang
auch von den Niederlanden mit den französischen Architekten Marot und Froimont und dem
Ingenieur von Coehorn unter Johann Wilhelm und Carl Philipp den Rhein herauf in die
Pfalz ein, wo er mit der zweiten unterdessen entstandenen Stilform zu ringen hatte,
dem Barocco.

Das unerklärte Wort barocco hat den Sinn des Seltsamen, Absonderlichen, der Regel
Widerstrebenden ; es ist ein feindlicher Bruder der Renaissance. Der geniale Begründer des-
selben in Architektur, Bildhauerei und Malerei ist Michel Angelo Buonarotti (1475 — 1564.)
Seine geniale Kraft und sein Drang nach Freiheit der Persönlichkeit lehnte sich gegen den
Zwang der Regel, gegen die Herrschaft des ewig Gestrigen auf; ihn reizte das noch nicht Da-
gewesene. Der Grundriss der Peterskirche, die Gigantengestalten der Medicäergräber, die regel-
widrige Anordnung der Figuren an der Altarwand der sixtinischen Kapelle im Vatikan sind in
diesem Sinne barock. Ihm strebt Bernado Buontalenti, genannt delle Giraudole (1536—1608)
nach. Doch noch kühner sind Francesco Borromini (1599—1667) und Giovanni Lorenzo
Bernini (1599—1680), welche in der Feindschaft gegen das Stilgemässe bis zur Schöpfung
derjenigen Formen weiter schritten, welche wir im engeren Sinne barock nennen. Sie bildeten
Schule und fanden geniale Anhänger, namentlich diesseits der Alpen; ihre Schüler wanderten
in Deutschland ein und schufen an den katholischen Höfen weltlicher und geistlicher Fürsten
die Meisterwerke des Barockstils. Die Eigentümlichkeiten desselben werde ich nachher an
einzelnen Werken der hiesigen Baukunst klar zu machen suchen. Hier einstweilen nur so
viel, dass nur wenige von den alten Mannheimer Bauten rein barock sind. In Schloss und
Kaufhaus, in Rathaus und Jesuitenkirche, in vielen Privathäusern haben sich beide Stilformen
in der Weise friedlich mit einander vertragen, dass die eigentliche Konstruktion den Grund-
sätzen der Renaissance, des Palladio, entspricht, während die Dekoration der Aussenseite, zu-
weilen auch das Innere barock ist.

In der Dekoration des Innern und einzelner Theile der Fassaden findet sich ein jün-
gerer Bruder des Barockstils ein, fdas vielgeschmähte und vielbewunderte Rococo; beide
schliessen hier oft einen ähnlich innigen Bund wie Renaissance und Barocco in der Aussen-
architektur; nur ordnet sich in den schönsten Räumen das Barocco dem Rococo unter, und
dieses, geläutert durch die Vertrautheit der Meister mit dem eleganten Formenfluss der Orna-
mente der Hochrenaissance, feiert hier seine höchsten Triumphe in den Sälen des Schlosses,
namentlich in den spätesten derselben, im Naturalienkabinet, in der Gemäldegallerie, im Lese-
zimmer und im Bibliotheksaal. Was hier von den Künstlern Carl Theodors geleistet worden
ist, kann an Schönheit und Reichtum der Phantasie nirgends überboten werden.

Das Rococo ist in Frankreich zur Zeit der Regentschaft (1715—23; entstanden und
trägt in seinen ersten Schöpfungen, den Werken eines Oppenort, den Charakter zügelloser
 
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