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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 19.1976

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Nr. 1
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Bericht über die Arbeit des Ausschusses "Lernzieltaxonomie" des DAV
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https://doi.org/10.11588/diglit.33071#0019

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III 3. Affektive Lernziele in der Inhaltsklasse G

Text: Livius II 32,8-33,2
Lernvoranssetzungen: Lektürefähigkeit, Erfahrungen mit Fabeln. Eine andere Voraussetzung
ergibt sich, wenn die Fabel dem Schüler schon durch die Behandlung in einem Übungsbuch
bekannt ist.

1.1 Der Schüler liest den Livius-Bericht von der Rückführung der Plebejer mit der Fabel des
Menenius Agrippa vom Magen und den Gliedern.
1.2 Die Fabel findet seine Aufmerksamkeit, weil er einerseits Fabeln mit einem oft nicht näher
bestimmten sozialen Bezug kennt, anderseits in dieser von Livius dargestellten Fabel auffal-
lende Begriffsinhalte entdeckt, die aus der römischen Geschichte stammen (Patrizier, Plebs,
patres = Senat).
1.3 Diese Beobachtungen lassen ihn aufgeschlossen werden für die politische Rolle und die
Absicht des Menenius Agrippa.

2.1 Der Schüler will die ihm vorerst fremde Einbindung einer Fabel in den historisch-politischen
Kontext verstehen, er studiert den Text und stößt dabei auf die genaue Darstellung der
Bildsphäre (anatomische Begriffe, Organe und ihre Beziehungen) und auf die hinter dem
Bild stehenden Sozialbeziehungen (Stände und deren Interessen).
2.2 Er bemüht sich um geordnete Informationen und damit um ein methodisches Eindringen in
diese Begriffswelt; er versucht, die Bildbegriffe einzelnen Teilen der römischen politischen
Wirklichkeit zuzuordnen:

(32.10) Gesamt-Organismus
(32, 9) Einzelglieder
(32, 9)
(32.10) ,
(32, 9)
omnia in unum consentientia
cura, labor, ministerium
concordia
conspirasse
ira
intestina seditio
2.3 Er gewinnt dabei ein vertieftes Verständnis für ökonomische, soziale und politische Proble-
me der römischen Republik, für Interessenkonflikte, für die beteiligten „Parteien“ und ihre
teilweise entgegengesetzten Standpunkte. Er erfaßt ferner auch höhere Gesichtspunkte, die
einen Kompromiß nötig und auch möglich machten.

totum corpus
singula membra
z. B. venter
manus, os, dentes
reliquae partes
„Gesunder“ Zustand:

„Kranker“ Zustand:

= Staat
= Stände oder Schichten
= Patrizier, Senat

= Plebejer
(32,9)
(32,9)
(33,1)
(32.9)
(32.10)
(32,12)

= tabes (32,10)

3.1 Die hier angesprochenen politisch-sozialen Begriffe bezeichnen Interessengegensätze und
die Möglichkeiten ihrer Lösung durch Kompromisse, die im weiteren Verlauf ein höheres
Maß an Mitbestimmung für die Plebejer brachten.
3.2 Der Schüler bemüht sich nun, diese Einzelphänomene in den von Livius geschilderten
Gesamtzusammenhang zu bringen, nämlich die (für damalige Verhältnisse) lebensbedro-
hende Auseinandersetzung, die totale Polarisierung und extreme Notsituation, in der sich
der römische Staat befand, die äußere Bedrohung durch Feinde mit eingeSchlossen.
3.3 Der Vergleich mit modernen Streiksituationen ergibt, daß sich als annähernd vergleichbare
Situation allenfalls ein Generalstreik anführen ließe, da es sich um eine drohende Spaltung
des gesamten Staatswesens handelte.
Der Schüler erfährt dabei, daß die Livianische Fabel sich zur Darstellung von Konfliktsitua-
tionen als geeignet erweist (Shakespeare: Coriolan; Brecht: Coriolan; Grass: Die Plebejer
proben den Aufstand); er interessiert sich für die weitere Verarbeitung des Motivs.

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