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Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 19.1976

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Nr. 4
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Nickel, Rainer: Das Normenbuch "Latein", Teil 1
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https://doi.org/10.11588/diglit.33071#0073

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matisch-konservativ bezeichnen könnte. Die vom Normenbuch bestätigte Unter-
richtspraxis setzt eine Lehrerbildung voraus, wie sie seit jeher an den Uni-
versitätsinstituten praktiziert worden ist. Dabei sei allerdings bedacht, daß
Normenbuchpraxis nicht ohne weiteres als Studienstufenpraxis anzusehen ist.
Richtig verstandene Studienstufenarbeit ist weit mehr als Erfüllung des Nor-
menbuches, und so ist die herkömmliche Universitätsausbildung zwar nor-
menbuchkonform, aber nicht studienstufengemäß. Die Diskrepanz zwischen
Normenbuch und Studienstufenidee kann freilich dadurch verringert werden,
daß man den Lernzielkatalog als ein Minimalprogramm oder als eine bewußt
vorgenommene Betonung der sprachlich-literarischen Komponente des Unter-
richts. Es wäre demnach Aufgabe der Richtlinienkommissionen, diese Bereiche
an das Minimalprogramm organisch anzuschließen. Das ist von verschiedenen
Seiten möglich. Einen Weg haben z. B. die Hessischen Rahmenrichtlinien Se-
kundarstufe I und II LATEIN mit ihrem - allerdings dort noch nicht hinrei-
chend präzisierten - Begriff der Sprachreflexion (vgl. W. Heilmann, Ziele des
Lateinunterrichts, in: Mittbl. d. DAV 18, 4/1975, S. 11-17) gebahnt. Gegen-
stand der Sprachreflexion ist der Text in seiner Mitteilungsfunktion. Das be-
deutet, daß die Sprache nicht reduziert auf ihr System von Phonologie, Mor-
phologie, Syntax usw. sein kann. Damit wäre nur ein sogenannter „autonomer
Sprachunterricht“ realisierbar, der zwar von einigen Fachleuten aus verschie-
denen Gründen gefordert wird, aber in einem krassen Gegensatz zu den Ziel-
vorstellungen in der KMK-Vereinbarung steht; denn „autonomer Sprach-
unterricht“ ist nicht in der Lage, dem Schüler die Mitteilungs-, Ausdrucks- und
Darstellungsfunktion der Sprache deutlich zu machen. Dieses Ziel kann selbst-
verständlich auch dann nicht erreicht werden, wenn man das entgegengesetzte
Extrem vertritt: die Lektüre lateinischer Texte ausschließlich um der in ihnen
dargestellten Inhalte willen. Denn hier geht es ja überhaupt nicht mehr um
die Sprache, sondern um eine in der Regel höchst mangelhafte Information über
Kultur und Geistesleben der Römer. Die Antithese von autonomen Sprachunter-
richt und Kulturkunde ist jedoch in einer Sprachreflexion aufzuheben, die die
Texte in ihrer sprachlich-inhaltlichen Komplexität und Geschlossenheit zum
Gegenstand hat (vgl. RR SI LATEIN Hessen Abs. 1.1.7). Diese didaktische
Entscheidung, auf der auch die Vorstellungen des Normenbuches beruhen,
impliziert die Notwendigkeit einer Auseinandersetzung mit originalen latei-
nischen Texten unter den semiotischen Aspekten der Pragmatik, Semantik und
Syntax. Diesen Ansatz hatte z. B. schon W. Heilmann in seiner Arbeit über
„Möglichkeiten der Sprachreflexion bei der Lektüre von Texten“ (in: Didac-
tica Classica Gandensia 1972/73, Nr. 12/13, S. 68-77) veranschaulicht:
„Sprachreflexion ist mißverstanden, wenn sie nur als Mittel formaler Sprach-
betrachung angesehen wird. Die Sprachreflexion sucht zwar die Ansatzpunkte
für die Texterschließung in Erscheinungen der sprachlichen Form, muß aber so
früh wie möglich den Bedeutungszusammenhang des Textes mit einbeziehen,
da die Sprache als geformter Ausdruck von Inhalten ihr eigentlicher Gegen-
stand ist. So verstanden ist sie das Mittel, die Sprache und die durch sie ver-
mittelten Inhalte im Unterricht ständig in Beziehung zueinander zu halten“
(S. 70). Fortsetzung in Heft 1/1977

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