Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Metadaten

Deutscher Altphilologenverband [Hrsg.]
Mitteilungsblatt des Deutschen Altphilologenverbandes — 30.1987

DOI Heft:
Nr. 1
DOI Artikel:
Aufsätze
DOI Artikel:
Beil, Adolf: Die Heimkehr des Odysseus, II
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.35878#0004

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Aufsätze

Die Heimkehr des Odysseus ()!)
Mit Brachialgewalt gegen die alte Amme hat Odysseus also den Zustand zwischen sich
und seiner Frau erhalten, den Zustand des Nichterkanntseins und des Nichterkennens.
Diese Begegnung der beiden geht ihrem Ende zu und läßt eine Erkennung nicht mehr
erwarten; nur eine weitere Verdichtung dieser von Odysseus gewollten Situation folgt
noch. Penelope weist auf die vorgerückte Stunde hin, klagt über die Sorgen und Zwei-
fel, was sie in ihrer Lage denn tun solle, erzählt den Traum von ihren Gänsen und dem
Adler, der ihnen die Hälse brach, und bittet den Fremden um eine Deutung des
Traums. Dieser erklärt ihn als sicheres Zeichen der bevorstehenden Vernichtung der
Freier, Penelope aber kann der Deutung nicht vertrauen, sondern kündigt für den
kommenden Tag die Bogenprobe an, die entscheiden soll, welchem der Freier sie fol-
gen wird (19, 508 - 581). Für sie ist dies nunmehr ein unausweichlicher, bitterer Schritt,
der die endgültige Trennung von Odysseus und seinem Hause bringen wird; nur eins
will sie mit der Bogenprobe erreichen: Der Freier, der den Bogen handhaben kann,
wie Odysseus selbst es tat, soll sie heimführen, einen Mann will sie haben, der in die-
sem Punkt wenigstens so ist, wie Odysseus es war. Odysseus stimmt der Frau sofort zu,
ja drängt sie, die Probe ja nicht aufzuschieben (19, 582 - 587). Er erspart ihr Angst und
Spannung der folgenden Nacht und des folgenden Tags nicht, er weist nur mit großer
Bestimmtheit auf Odysseus' Heimkehr hin, ehe ein Freier die Probe werde bestehen
können; und er bleibt bei dieser festen, fast harten Zurückhaltung trotz der Sympathie
der Frau, die sie ihm zeigt und die ihn weit über alle Freier stellt, und trotz aller Liebe
und Treue, die sie immer wieder dem vermeintlich fernen Odysseus gegenüber zu er-
kennen gibt; Odysseus will die Bogenprobe. Von ihr scheint er etwas zu erwarten, was
für ihn mehr ist als Sympathie und Vertrauen zu ihm als einem Fremden, mehr als
Liebe- und Treuebezeugung zu ihm als Mann in der Ferne und mehr als Erkanntwer-
den an seiner Narbe.
Diese Bogenprobe findet ein recht schnelles und eindeutiges Ergebnis. Kein Freier ver-
mag den Bogen zu spannen, keiner gleicht dem Odysseus. Da geschieht etwas Uner-
wartetes, ja Unerhörtes; der fremde Bettler verlangt den Bogen, um sich auch selbst an
ihm zu versuchen und so zu erproben, ob er wohl Kraft und Geschick habe wie einst
(21, 275 - 284). Dabei ist sich Odysseus doch sicher, daß er und nur er den Bogen
spannen kann und den Freiern weit überlegen ist (19, 555 - 558. 585 - 587). So geht es
also gar nicht wirklich um eine Probe, ob die alte Kraft noch vorhanden sei, sondern
offenbar um etwas anderes, um einen Hinweis, ein Zeichen für die Anwesenden, zu-
mal für die vorerst noch gegenwärtige Penelope, daß er, der Bettler, einst diese Kraft
und dieses Geschick besessen habe. Es ist dies natürlich nicht bloß ein Hinweis von
der Art, wie ein deklassierter Mensch auf frühere bessere Tage hinweist; es ist dies ein
Beweis, daß er diese Leistung früher wie jetzt wirklich vollbracht hat; vollbracht aber
hat sie, wie jeder weiß, allein Odysseus. So könnte denn bei der Bogenprobe man-
2s ,4 AlA , 70,

2
 
Annotationen