Meggendorfers Humoristische Blätter.
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lKegründete Akneigmrg.
Baronin: „Sic, gebcn Sic inir ein Glas Rnliinilch, aber nicht von dicser Rnb
die hat mir ein zu nnsyinpatisches Aeußercs!"
Ocr Profcssor trat ans Fenstcr und schaute lächclnd hinaus
in dcn sonnnicn Nachinittag, dcr vor ihui lag — wie die Zn-
knnft, so voll Freiheit nnd pocsie. „Ganz frei, ganz allein,
ohne Aglajal" flnsterte er wieder selig träuinend. Doch da
raste auch schon dic prosa in Gestalt der laut wiiniuerndcn
Gattin ins stillc Geinach. „Theophilns, Thcophilusl Dn hast
nichts vergesscu? — Dcinen Liicherschrank, Dcin Aleiderspind
niit alleni Trödclkrani, zwci altc bvinteriiberziehcr, Massen
von zerrissenen Stiefeln hast Du verpackt, nnd die ganze sauber-
geplättcte tväschc liegt noch iin Aastcn — nnd dcr Aoffer fortl
Thcophilus, ivas nnn? was nun?" — Der profcssor hatte nnr
ein sanftes Lächcln fiir diescn vorwnrf und nicinte resigniert:
„Rege Dich doch nicht so auf, liebe Aglaja l Das sind ja allcs
nur Lappalicn l In einer halbcn Stnnde geht der Zng. Aonini
nur, es ist Zeit I" —
Und so wanderten denn beide geniächlich deni Bahnhofe zn.
Aglajas bfcrz voll banger Sorge und Ahnung, Theophilus
schwelgond ini Genusse der Zuknnft. Seine Rockschöße flatterten
wie die winipel des abfahrenden Schiffleins fröhlich ini kserbst-
winde, und keck auf einer Seite thronte scin hoher Lylinder.
Der kleinc tvartesaal war bald erreicht, das Billct und somit
dio letzten ihn niit der bscimat verkniipfenden Bandc — gelöst,
und lustig plandernd saßon die beidcn noch an einem Tische.
„Du sagst, ich sei vergeßlich?" ineinte Theophilns scherzend.
„Sieh, Aglaja, hier in nicine Tasche habe ich j)ostkartcn und
sogar ein Fläschlcin Tinte nebst Fcder gcsteckt, nni Dir zn
schreiben, sobald ich das Ziel ineiner Sehnsucht erreichtl bvas
sagst Dn nun, Aglaja?" „Ich bin gernhrt über Deinc sorglichc
Liebe, Theophilus — doch halt, beinahe hätte ich eine ksaupt-
sache vergessenl khier ninini cinige Lßvorräte und ein Fläsch-
chen Ungarwein fiir die Reisel" —
Dankend barg der Professor beidcs in seines Rockes tiefstcr
Lasche. Da psiff es auch schonl Die Glockc tönte. „Linsteigen
nach Berlin l"
Lilig stnrzten die Beiden hinaus. plötzlich stntzte der pro-
fessor, befühltc seine Nase, seine Augcn. — „Uin des Lsimmels-
willen, Aglaja, ich habe nieine Brille vergessen. Ich bin ja
rettungslos verlorcn ohne siel Ich niuß sie inir erst holen.
So kann ich nicht reisenl" — „Aber
Theophilusl" wiminerte Aglaja vor-
wurfsvoll. „Das sind ja allcs nur
Lappalienl" beruhigte sie aber der
Gatte. „Jn einer Stunde geht der
Schnellzng. Noch ist nichts verloren.
Ich werde sie schnell mir holenl" —
„Nein, ncin I Du hleibst hier, Theophi-
lusl Du niachst Deine guten Sachen
staubig. Ich hole sie Dirl" rief die
besorgte Gattin — und fort war sie. —
Deni professor, den eine verzöger-
ung seines Lldorados doch gerade nicht
so philosophisch ruhig ließ, wnrde die
Zcit gewaltig lang. Lrst wanderte er
mit langen Schritten den kleinen Salon
auf und ab und starrte alle zwei Uliiin-
ten auf die langweilige Bahnhofsuhr.
Dann kani ein Seidel Bier an die Reihe.
Der Zeiger war erst fiinf Minuten
vorgerückt. — Dann kam das zweite
— dritte — vierte. —
Nnn hielts Theophilus nicht länger
aus. „Sollte sie nieine Brille nicht ge-
funden haben?" murnielte er. „Ach,
was Lappalicn — niuß ich sie mir selber holenl" — Der Abend
däniniertc schon, als cr durch das altc Stadtthor, deni er vorhin
niit inncreni Iubcl valct gesagt, wiedcr seincn Linzug hielt
nnd der ziemlich nahen wohnung zuschritt.
Lr eilte die beiden niorschen Treppen hinauf und klingeltc.
Aeine Antwort, keines öffnete. Lr riß an der Thür. Sie war
verschlossen. „Ihrc Fran Geniahlin ist soeben wieder fort-
gegangenl" ilieldete dienstcifrig und knircud sein vis L vis,
einc alte Alavicrlehrerin, die er ihrcs Berufes wegcn bis auf
den Tod haßtc. „Danke l" schrie der Arnie kurz nnd eilte wicdcr
dcni Bahnhofe auf dem kürzesten tvege zn — schon nicht mehr
so ganz stoisch — gleichmntig, abcr doch in sichcrer Lrwartung,
seine Gattin mit der vielgesuchtcn Brille dort vorzufinden.
Lr betritt den tvartesaal.
»Ikre Frau Geniahlin ist soeben wieder fortgegangenl —
Noch ein Glas Bier, kserr Professor?" rief ihm die junge Dainc
ain Buffet schon von weitem zu — wie es ihm schien in etwas
höhnischem Tone. Geknickt und mit einem wenig klassischen
Ansruf sank der arnie Theophilus auf einen Sessel. „In fiinf
Minuten geht der Zug. Acinc Aussicht mehr auf Brille und
Aglaja I" rief cr verzweifelnd. Doch bald tröstete er sich wicder
im ksinblick auf die lockende Zuknnft. „Das sind ja alles nur
Lappalien", murmelte er mutig und: „Noch sind die Tage der
Rosen", sang er dann leise vor sich hin. „prosit alter Iungel
Dic schnippischc Acllnerin soll das Nachsehen habenl" Damit
langte er das Fläschchcn Ungarwein aus seiner Taschen Tiefe,
setzte es an, that einen tiefen Zug — doch mit einem Schrei
des Lntsetzens fnhr er emxor. pustend und gellend schoß ein
schwarzer Strahl aus seincni Munde auf den Bodcn — auf
sein reines, ncues Themisett. Lr hatte die Flaschen in seiner
Tasche verwechselt.
„Ich bin vergiftet, bin vergiftcl", schrie er heiser vor Angst.
Da war auch schon der Aourier-ZugI „Linsteigen, einsteigenl
I Minutel"
„Schaffner Schlafwaggonl" rief der professor hinauseilend,
nachdem er erst in ein verhaßtes Rauchkoupee hineingestürzt war,
wo er mit gellcndem ksalloh empfangen ward. kvarum? Lr
wußte es nicht. Dann in ein Damenkoupee, wo bei seincm
Anblick einige zartbesaitete kvesen mit einem Schrcckensruf in
Vhnmacht sanken. kvarnin? Lr wußte es nicht.
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lKegründete Akneigmrg.
Baronin: „Sic, gebcn Sic inir ein Glas Rnliinilch, aber nicht von dicser Rnb
die hat mir ein zu nnsyinpatisches Aeußercs!"
Ocr Profcssor trat ans Fenstcr und schaute lächclnd hinaus
in dcn sonnnicn Nachinittag, dcr vor ihui lag — wie die Zn-
knnft, so voll Freiheit nnd pocsie. „Ganz frei, ganz allein,
ohne Aglajal" flnsterte er wieder selig träuinend. Doch da
raste auch schon dic prosa in Gestalt der laut wiiniuerndcn
Gattin ins stillc Geinach. „Theophilns, Thcophilusl Dn hast
nichts vergesscu? — Dcinen Liicherschrank, Dcin Aleiderspind
niit alleni Trödclkrani, zwci altc bvinteriiberziehcr, Massen
von zerrissenen Stiefeln hast Du verpackt, nnd die ganze sauber-
geplättcte tväschc liegt noch iin Aastcn — nnd dcr Aoffer fortl
Thcophilus, ivas nnn? was nun?" — Der profcssor hatte nnr
ein sanftes Lächcln fiir diescn vorwnrf und nicinte resigniert:
„Rege Dich doch nicht so auf, liebe Aglaja l Das sind ja allcs
nur Lappalicn l In einer halbcn Stnnde geht der Zng. Aonini
nur, es ist Zeit I" —
Und so wanderten denn beide geniächlich deni Bahnhofe zn.
Aglajas bfcrz voll banger Sorge und Ahnung, Theophilus
schwelgond ini Genusse der Zuknnft. Seine Rockschöße flatterten
wie die winipel des abfahrenden Schiffleins fröhlich ini kserbst-
winde, und keck auf einer Seite thronte scin hoher Lylinder.
Der kleinc tvartesaal war bald erreicht, das Billct und somit
dio letzten ihn niit der bscimat verkniipfenden Bandc — gelöst,
und lustig plandernd saßon die beidcn noch an einem Tische.
„Du sagst, ich sei vergeßlich?" ineinte Theophilns scherzend.
„Sieh, Aglaja, hier in nicine Tasche habe ich j)ostkartcn und
sogar ein Fläschlcin Tinte nebst Fcder gcsteckt, nni Dir zn
schreiben, sobald ich das Ziel ineiner Sehnsucht erreichtl bvas
sagst Dn nun, Aglaja?" „Ich bin gernhrt über Deinc sorglichc
Liebe, Theophilus — doch halt, beinahe hätte ich eine ksaupt-
sache vergessenl khier ninini cinige Lßvorräte und ein Fläsch-
chen Ungarwein fiir die Reisel" —
Dankend barg der Professor beidcs in seines Rockes tiefstcr
Lasche. Da psiff es auch schonl Die Glockc tönte. „Linsteigen
nach Berlin l"
Lilig stnrzten die Beiden hinaus. plötzlich stntzte der pro-
fessor, befühltc seine Nase, seine Augcn. — „Uin des Lsimmels-
willen, Aglaja, ich habe nieine Brille vergessen. Ich bin ja
rettungslos verlorcn ohne siel Ich niuß sie inir erst holen.
So kann ich nicht reisenl" — „Aber
Theophilusl" wiminerte Aglaja vor-
wurfsvoll. „Das sind ja allcs nur
Lappalienl" beruhigte sie aber der
Gatte. „Jn einer Stunde geht der
Schnellzng. Noch ist nichts verloren.
Ich werde sie schnell mir holenl" —
„Nein, ncin I Du hleibst hier, Theophi-
lusl Du niachst Deine guten Sachen
staubig. Ich hole sie Dirl" rief die
besorgte Gattin — und fort war sie. —
Deni professor, den eine verzöger-
ung seines Lldorados doch gerade nicht
so philosophisch ruhig ließ, wnrde die
Zcit gewaltig lang. Lrst wanderte er
mit langen Schritten den kleinen Salon
auf und ab und starrte alle zwei Uliiin-
ten auf die langweilige Bahnhofsuhr.
Dann kani ein Seidel Bier an die Reihe.
Der Zeiger war erst fiinf Minuten
vorgerückt. — Dann kam das zweite
— dritte — vierte. —
Nnn hielts Theophilus nicht länger
aus. „Sollte sie nieine Brille nicht ge-
funden haben?" murnielte er. „Ach,
was Lappalicn — niuß ich sie mir selber holenl" — Der Abend
däniniertc schon, als cr durch das altc Stadtthor, deni er vorhin
niit inncreni Iubcl valct gesagt, wiedcr seincn Linzug hielt
nnd der ziemlich nahen wohnung zuschritt.
Lr eilte die beiden niorschen Treppen hinauf und klingeltc.
Aeine Antwort, keines öffnete. Lr riß an der Thür. Sie war
verschlossen. „Ihrc Fran Geniahlin ist soeben wieder fort-
gegangenl" ilieldete dienstcifrig und knircud sein vis L vis,
einc alte Alavicrlehrerin, die er ihrcs Berufes wegcn bis auf
den Tod haßtc. „Danke l" schrie der Arnie kurz nnd eilte wicdcr
dcni Bahnhofe auf dem kürzesten tvege zn — schon nicht mehr
so ganz stoisch — gleichmntig, abcr doch in sichcrer Lrwartung,
seine Gattin mit der vielgesuchtcn Brille dort vorzufinden.
Lr betritt den tvartesaal.
»Ikre Frau Geniahlin ist soeben wieder fortgegangenl —
Noch ein Glas Bier, kserr Professor?" rief ihm die junge Dainc
ain Buffet schon von weitem zu — wie es ihm schien in etwas
höhnischem Tone. Geknickt und mit einem wenig klassischen
Ansruf sank der arnie Theophilus auf einen Sessel. „In fiinf
Minuten geht der Zug. Acinc Aussicht mehr auf Brille und
Aglaja I" rief cr verzweifelnd. Doch bald tröstete er sich wicder
im ksinblick auf die lockende Zuknnft. „Das sind ja alles nur
Lappalien", murmelte er mutig und: „Noch sind die Tage der
Rosen", sang er dann leise vor sich hin. „prosit alter Iungel
Dic schnippischc Acllnerin soll das Nachsehen habenl" Damit
langte er das Fläschchcn Ungarwein aus seiner Taschen Tiefe,
setzte es an, that einen tiefen Zug — doch mit einem Schrei
des Lntsetzens fnhr er emxor. pustend und gellend schoß ein
schwarzer Strahl aus seincni Munde auf den Bodcn — auf
sein reines, ncues Themisett. Lr hatte die Flaschen in seiner
Tasche verwechselt.
„Ich bin vergiftet, bin vergiftcl", schrie er heiser vor Angst.
Da war auch schon der Aourier-ZugI „Linsteigen, einsteigenl
I Minutel"
„Schaffner Schlafwaggonl" rief der professor hinauseilend,
nachdem er erst in ein verhaßtes Rauchkoupee hineingestürzt war,
wo er mit gellcndem ksalloh empfangen ward. kvarum? Lr
wußte es nicht. Dann in ein Damenkoupee, wo bei seincm
Anblick einige zartbesaitete kvesen mit einem Schrcckensruf in
Vhnmacht sanken. kvarnin? Lr wußte es nicht.