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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 25.1896 (Nr. 275-287)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16563#0024
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INeggendorfers Humoristische Biätter.


Lifer herans auf den unverschlossenen Aorridor, marf sich lang
auf die Erde uud steckte dcn Aopf zwischen den Stäben des
Treppeugeläuders lsiudurch. Auf diese Weise konute er die
Treppe, welche in rechtwinklig gebrochcneur Zickzack anstieg,
vollftändig und begueiu iiberblicken. lseute nnn, bei der An-
kunft Lrdmanns, war seine Wißbegierde ganz besonders ange-
stachelt worden und er hatte schleunigst seinen Beobachtungs-
posten eingenommen. Als nun uuteu die Unteichaltung sich in
einem dumpfen Schweigen verlief, fieng er an, sich zu lang-
weilen uud beschloß, den Riickzug anzutreteu. Aber, ob er nun
eiuen Zwischenraiim erwischt lfatte, der zufällig etwas wcniger
breit war, als die friisier von ihm benutzten, oder ob die Fiille
der von ilfin au diesem Tage gemachten Lrsalfrungen seinen
kleinen Aopf ausgedelfnt lfatte — er merkte, daß er festsaß.
T>er Aopf ging nicht wiedcr zuriick. Uud als er iiber die Rich-
tigkeit dieser Entdeckuug nicht melfr im Zweifel sein kouute, da
tlfat er, was jeder andere in seiuer Lage auch gethan lfätto, er
crchob ein durchdriugendes Iammcrgelfcul.

Erdmann nalfiu eine Amtsmiene au, bcugte sich zu
dem ungliicklicheu Anaben niedcr uud übcrzeugte sich, daß
er keine Schmerzen litt.

„Schrei nur tüchtig, mein Iunge," sagte er leise zu
ihm. „Das ist das beste, was Du dabei thuu kauust."

„Wir wollen deu Tischler holcn," sagte dic Uiutter.

„Den Zimmermann," schlug der vater vor.

„Den Schlosser," meinte Llse, welche vollständig dcn
Aopf verloren hatte.

„Um Gotteswillen," sagte Lrdmann mit sauftem Oor-
wurf. „Solch ein ungeschicktor Ukeusch kaun den Anaben
töten. lsier muß mit der größteu vorsicht gehandelt wcr-
deu. Das kann nur vom Arzt geschehen." Und er warf
sich in die Brust.

„Aber so beeilcn Sie sich doch!" jammerte die Ukuttcr.

„Lile mit Weile, liebe Frau Galauder," vorsetzte Lrd-
manu seelenruhig. „Der Unglücksfall des Iungen ist
geeignet, dcr gauzen Familie das verlorcne Glück zurück-
zugcben. bfören Sie zu l Ich bin bcreit, Ukänne zu retteu.

Aber ich stelle drci Bcdingungcn: ersteus, daß das Braut-
paar sich wieder vcrträgt und sich boreit erklärt, um halb
zwölf Uhr zum zwcitcnmal auf das Staudesamt zu fahrcn;
zweitens, daß Fräulein Else mir gostatlct, ihr die Grüudo
meines Ausbleibcns ausführlich darzulegeu; uud drittens,
daß kjerr uud Frau Galander ihren Scgcu dazu gcbeu,
wenn meine Uuterredung mit Fräuleiu Llse den Lrfolg
hat, den ich erhoffe."

Ukan sah sich befremdet an.

„Nicht wahr, mein Iuuge", waudte sich Erdmaun
au Uiäune, „sie sollen thuu, was ich ihueu sage? Ich
mache dauu auch Deinen Aopf los."

„Ia, jal" heulte Utäune anf das eiudriuglichste.

„Befreien Sic ihn dochl" sagtc Llsc da, ctwas schüch-
teru zwar, aber doch so, daß man ihro Linwilliguug
heraus hören kountc.

Uud kaum war dicscs erste Mort gefallen, als die
übrigeu im Lhorus eiustiiiimten.

Lrdmauu sprang hiuuuter in den Lfof, wo er Werk-
zeug wußte uud kehrte mit einer Säge znrück. Sorg-
fältig sägte er den einen der Stäbe, die Ukänue ge-
faugen hielten, obeu und uuten durch, uahm ihn heraus

und legte dann den befreiten Iungen in die Arme seiner
Ututter.

Als Lrdmaun sich umwandte, verschwand gerade das Braut-
paar Arm in Arm in einer Thüre.

„Aber hören Sie mal," sagte Llse, die ihren Ukut wiedor-
gefunden hatte, „das hätte der Tischler auch gekount."

„Daß er Männe und das Treppengeländer auscinander-
gebracht hätte, will ich nicht bestreiteu," entgcguete Lrdmanu.
„Gb es ihm aber golungen wäre, zu gleicher Zeit zwoi Braut-
paare wieder zusammen zu bringen, das möchte ich billig be-
zweifelu."

Lserr Galauder, der alleiu noch zurückgeblieben war, that
als ob er nichts gehört hätte, nahm die Säge und trug sie
hinuutcr in den Lfof.

Am Nachmittag, beim Lfochzeitsmahl, ivurde die verlobung
der zweiten Tochter des Lferrn Galander, Llse, mit dem prak-
tischeu Arzt llr. Lrdmaun proklamiert. Utänue aber war der
Lhrenplatz an der Spitzo der Tafel ciugeräumt worden.

Necht bescheiden.

li

Frau: „Sie haben ja schon Utittagessen bekommcu, auf was warteu
Sie denn uoch?"

Bettler: „Auf den Aaffee, Ukadame."

Redaktiou: Ukax Schreiber. Druck uud verlag von I. F. Schreiber, beide iu Lßliugeu bei Stuttgart.
GeschäftsstLllL in München: Cornelinsstraste 19.
 
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