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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 25.1896 (Nr. 275-287)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16563#0086
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82

Aleggendorfers Humoristische Blätter.

Die Masche der

Der c>!te tsuber war früber Palier bei lsasenmaier ge-
wesc», hatte cinen bösen 5turz vom Baugerüst gethan nnd gcnoß
deshalb iin ksause frcie Wohnnng bis an scincs Lebens Lndc, und
daß er und soine Lrau auch anderweitig von der Fainilie
unterstüht ivurden, das sehen wir ja. Anna und die
Aöchin traten in das klcine aber peinlichsaubcre
Stübcheu. lsuber lag wie gewöhnlich im
Bette und die alte lsnbcrin saß mit dick
umwickeltcm Fußc im Sorgenstuhl.

Die beidcn Leute erschöpfteu sich in
Dauksagungcn nud dann klagte die
Alte, daß sie einmal wieder die
Gicht übcrfallen habei „und grad
mitteu unter der waschl"

„Wo habt Ihr donn die
lväsche, lsubcrin?" fragte Anna.

„Dranßt in der Auchel.

G'waschcu uud g'schweibt is' schon,
grad aufhängen hätt' ichs noch
brauchenl G mei', o mei'I"

„Das mache ich rasch I" entgeg-
note Anna, „das ist im Augeublick ge-
schehcnl Aathi, sagcn Sie der Frau Dtut-

ter, ich komm' im Augeublick nach.vorher

aber lragen Sie mir die Wäsche auf die bjängealtane hiuaus."

Anua hörte nicht mehr aus die alte lsubcriu, wclche sich
iu Danksagungen und Segenswiinscheu erging, sie stand im

Augcnblicko oben auf dem Dache, das abgcplattet nnd zu

ciner Wäschetrockenbühne eingorichtet war. Sie entließ
dio tltagd und nnn war sie allein hoch da obeu uud übersah
die iin Mondschein liegendc Stadt, deren Straßcn-Zügo von
Gas- und elektrischcm Lichte bezcichnet ivarcn. Dnd daun trat
sie ganz an dcn Rand des eisernen Gittcrs und sah hinab in
den dunklcn lsof und auf das Dach, nntcr dcm Lngeu in dop-
pelten Schmerzen lag. In Schmerzen, die ihm der Unfall

und in solchcn, die ihm dcr Zweifel bringcn mußtel
Ach könnte sie ihm ein Zeichen geben,
das ihu aus der Dugewißheit riß. Sein
Iimmcr lag aber von ihr abgewendet,
das wußte sie, und sein Fcuster ging
auf das Gärtchcu, welches zum ihiuter-
grunde cine hohe, weiße INauer hattc
— das Lnde dcs Rückgebäudes eines
Rachbaranwescns. Sie vcrsank in Nach-
denken. Nichts I lllcchanisch begann sio dic
Iväschc aufzuhängen, die bald rcgungs-
los an dcn Stricken hing. Nun wollte
sic scheidcn — nur noch cinen Blickl
Ihre Angcn giugcn ringsnm, sie fielen
auch anf die himmelhohc INauer, an
dcron äußerstem linken Lnde sich dic
untere rechtc partie dos lsascnmaierschen
lsanses durch den Schattcn markierte.

Erst sah sic das uur gedankenlos, dann
aber erweiterten sich ihre Augon und
sie mußte an sich halten, um nicht iu laute Iubelruse aus-
zubrechen — sie hatte das INittel gefunden, Lugen ein Zeichen
zu geben und der alte, treue verbüudete der Liebenden, der
IRoud, solltc ihr dabei dieustbar seiul

In fieberhafter Lile riß sie die Iväsche herab, spannte die
Stricke wie Notenlinieu übereinander und hing nnn die Wäsche

in anderer Grduung und mit lsilfe vieler Alammern ganz
eigentiimlich auf. Danu warf sie eine Außhand gegen den lsof
und eine solche gegen dcn immer höher heraufkommenden IRond
und trat den Rückweg an.

Indessen hatte Lugen wirklich, wie von Anna
vermutet, die angedeuteten Schmerzen erduldet.
Lr hatte sogar das Licht aus seinem Stübcheu
entfernen lassen, er wolltc nichts sehen,
gar nichtsl Lr sah auch nichts.
Die am Tagc blendend weiße IRauer
lag ihm, da das vordergebände
seineu Schattcn darauf wars, wie
ein grauer vorhang gegcnüber.

Das blieb aber nicht lange so, dcr
IRond stieg höher, der Schattcn ver-
kürztc sich und nun kroch langsam die
Silhouette der Mäschebiihne behang-
cn mit der Iväsche der alteu lsuberin
an der INauer herab. Lngen sah erst
ohne Anfmerksamkeit hin, aus cinmal
aber durchzuckte es seincn Aörper wie
ein elektrischer Schlag. Das, das war
keine Täuschuug, keiue Ivillkür in dcr ?lnf-
hänguug dicser armseligcn Stückchou Iväschc, das
war Absicht, das hattc sio gethan, sio allein, um ibn zn tröstcu,
ach liober Gott, sie liebt ihn ... o dioses herrliche, xrächtige
IRädchcn I

Ivas Lugen sah? Nuu genau das, was dcr Lcser oder
die schöne Leserin sehen, wcnn sic die IRaner anschauen I

Anua hattc die Iväsche iugeuiös zu Buchstaben aneiuander
gerciht, wozu die llnterbeinkleidcr, dic liand- und Schnupftücher
üch ganz willig geeignet hatten. Der Illond hatto dann das
Ilcbrige besorgt, er hatte die Buchstaben von der ljöhe
herab ctwas vergrößert uud der Schatten, welche auf der
jetzt wieder im Illondlichto blendeud wcißen Illauor lag, hicß
klar und deutlich:

Die hübsche Auua hat es auch bei ihreu Lltcrn znguter-
letzt durchgesetzt, daß sic ihren vielgeliebten Lugen bckam —
sie ist jetzt schon lango Frau Aaxellmeistcr I Tl>. Aliiller.

Redaktiou: Max Schreiber. Druck und verlag vou I. F. Schreiber, beide in Lßliugeu bei Stuttaart.

Geschäftsstrlle in München: Cornelinsstesche 19.
 
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