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Meggendorfers humoristische Blätter: Zeitschr. für Humor u. Kunst — 25.1896 (Nr. 275-287)

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https://doi.org/10.11588/diglit.16563#0125
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INeggendorfers Humoristische Blätter.

s2s

Tinte!


er arme, unbekannte Schriftsteller Doktor lseinrich Siebald
als Schwiegersohn des Uommerzienrats Grunding? —
vermessener Gedanke.

Daruin hatte ich es auch nur mit Zagen gewagt, meinem
Gretchen von Liebe z» sprechen. Erst wenn ich reich, bernhmt
geworden, durfte ich um sie werben.

Freilich, sobald ich überlegte, wie lange, lange das noch
dauern konnte — —l

Einstweilen vcrsuchte ich, mir durch äußere Lleganz wenig-
stens den Schein einer gewissen lvohlhabercheit auch in Gretcheus
Augen zu geben. Denn würde sie, das verwöhnte Aind des
Reichtums, nicht das Näschen rümpfen, sobald sie bemerkte, daß
ein gcwisser Doktor Siebald arm sei, arm wie eine Kirchenmaus?

Gben deshalb befand ich mich heute in nicht geringer ver-
legenheit wegen meines Lsutes.

Da hatte mich Gretchen benachrichtigt, daß sie nachmittags
vier Uhr aus dem Feldwege nach Grünheim spazieren gehen
werde — ganz alleinl

Das übrige war selbstverständlich, daß nämlich um vier
llhr nachmittags Doktor Fseinrich Sicbald auch auf dem bewußten,
einsamen Feldwege spazieren gehen würdc.

Ach, drei ganze, lange Wochen hatte ich Gretchen nicht
gesehen; sie wurde so streng bewacht und ich verkehrte nicht im
tsause ihres Vaters.

Seitdem ich an Aommerzienrats Töchterlein mein tserz
verloren, stand ich bei dcr Toilette stundenlang vor dem Spiegel.

Der Anzug, Stiefeln, bsandschuhe, Krawatte u. s. w. waren
tadellos. Aber der Hut, der einzige, den ich zur Zeit mein

eigen nannte — ksimmel dieser .-

bsutl

„U)ie haben Sie es angestellt, hier allcin-"

„j)apa und Mama sind verreist, um sechs kommen sie nach
lsaus, dann muß ich wieder daheim sein."

„Und die Gesellschafterin? Weiß sie — —"

„Nur von dem lvege, welchen ich eingeschlagen. Sie be-
gleitete mich bis vor dic Stadt, dann schickte ich sie zurück. Im
Falle ich mich verspäte, soll sie augebcn, ich sei bei Freundinnen."

Danu hielt ich das geliebte Ukädchen zärtlich umschlungen.
Denn hier, allein mit ihr in Gottes freier Natur waren allc
meine Bedenken, meine Schüchternheit, gewichen.

Der erste Uußl

„Laß uns die Minuten des Alleinscins recht ausnützen,
Geliebtel"

„lvann werde ich Dich wiedersehen, Geliebter?-"

Der Liebe Lust, der Liebe Lcid.

Lin starker lvindstoß ließ inich aufschancu; dunkle lvolken
bedeckten den lsimmcl — am Firmamente zucktcn grelle Blitzc
und dcr Donner rollte.

Ls wird nicht das erstemal geweseu sein, daß verliebte
ein heraufzichendes Gewitter überschen haben.

Und nun goß der Regeu herab.

lvir waren bcide aus solch Unwetter nicht vorbereitet, kein
paletot, kein Schirm.

Auf der lvetterseite gehend, preßte ich die zarte Gestalt
fest an mich, um sie möglichst zu schützen vor Sturm und Nässe.

Ivie dankbar sie zu mir aufschaute, als ich, das ksaupt
über das holde Gesichtchen gebeugt — mit dürstenden Blicken
immer wicder die blauen Augensterne suchte.

Aache ist süß.

lvie ich ihn nun mit den
Augen eines Inquisitors gegen die
iselle hielt, bemerkte ich, daß der
ursprünglich tiefschwarze Glanz
einem stumpfen, undefinierbaren
Grau gewichen war; nur wo das
Sonnenlicht gerade streifte, schillerte
es in dcn verschiedensten Farben-
nüancen.

Linen neuen Lhapeau kaufen
— ja, leicht gesagt, wenn das ge-
samte augenblickliche Barvermögen
2 Mark und 2Z Reichspfennige be-
trägt. D, Gretchen, Gretchen,
wenn Du es ahntest, wo Deinen
kseinrich, welcher dcn Aopf immer
so stolz trug, der Schuh drückte ...

Da fiel inein suchender Blick
auf mein Tinteufaß. lhal Tintel
Tintel Sie sollte mir Ruhm und
Gold briugen, sie solltc mich auch
aus dieser verlegenheit retten.

Die Aleiderbürste in die dunkle
Flüssigkeit eintauchen und den ksut
damit bearbeiten war das lverk
weniger Sekunden.

Als ich zum drittenmale
„aufgetragen," erstrahlte meine
eben noch so schäbige Aoxfbedeck-
ung in tiefstem Schwarz. Der
Mensch muß sich zu helfen wissen.

Lin Stündchen sxäter war ich
bei „ihr."
 
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