Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Lothar Meggendorfers humoristische Blätter — 8.1892 (Nr. 53-65)

DOI Page / Citation link:
https://doi.org/10.11588/diglit.20907#0050
Overview
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
L. Neggendorfers Humoriftische Blätter.

44

Lhristel's Telegramm.

„Ach Nadame, was foll ich denn aber an den
Herrn telegraphieren? fragte die Lhristel."

„8anz kurz und bündig, Lhristel: Änhalt-Desfau
und Braut kommen mittags zur Aufnahme. Lofort
zurückkommen. Alara! Aber lauf, Lhristeh lauf —
es ist keine Zeit zu verlieren."

T>ie Lhristel, die mit der Heder recht gut um-
zugehen roustte, denn sie schrieb zweimal wöchentlich
einen langen Liebesbrief an ihren Sergeanten, eilte
auf das Telegraphenamt und that, wie ihre Herrin
geheißen. Aach Derlauf einer Ltunde lief prompt
ein Rücktelegramm folgenden Inhalts ein: „Aicht
wichtig — kann Kritz abmachen. Sruß. Aarl."

Hrau Alara war starr. „Aicht wichtig?" mur-
melte sie. „Aa, wenn der Besuch nicht wichtig ist,
dann kenne ich mich überhaupt uicht mehr aus."
Achleunigst mußte die Lhristel das Hräul-ein aus dem
Lurcau holeu, das mit rricht geringem Lrstauneu
das Telegramm las.

„A)as, der Herr kommt also nicht?" rief das
^räulein gauz desperat.

„Aein, er kommt urrbegreiflicherweise nicht, denn
es ist nicht wichtig," sagte die junge Hrau resigniert.
„Bestellen Aie also dem Hritz, dast er die Aufnahme
mache» uud alles im Atelier dazu vorbereiten must.
Aber unr Totteswillen schuell, Hräulein, denn es ist
ja schon dreiviertel auf zwölf."

Alenige Ninuten später steckte die Lhristel den
Aopf durch die Thürspalte und rief:

„Ach Nadame, der >tzerr Hritz ist da und fagte,
er müsse 2ie partout sprechen!"

Hrau Alara, die sich von Ninute zu Ninute un-
wohler fühlte, zog rasch die Lettdecke bis an den
Hals hinauf und hieß den Hritz eintreten. T>er junge
Akann war seit Iahren im Teschäfte ihres Katten
und genoß desfeu besonderes Vertrauen. E>r sah
ganz blast aus, als er — zwar noch im Arbeitsrock
-— aber sonst in schwarzem Beinkleid und Weste,
mit weißer Aravatte und künstlich frisierten Locken
vor das Bett der jungen Hrau trat.

„Hrau Achrey, alles was recht ist," rief er in
erregtem Ton, „aber die Aufnahme kann ich nicht
machen!"

„Aber warum denn nicht, Hritz?" fragte Hran
Alara ganz perplex.

„A?eil ich heute Nittag um ein Ahr getraut
werde, wie 2ie wissen!"

„Ach du großer Gott, daran habe ich wahrhaftig
nicht gedacht und mein Nann gewiß auch nicht!"
rief Arau Alara. „Aber, ^ritz, der Ruf unseres Ge-
schäftes steht auf dem Lpiel, denn die hohen Herr-
schaften können jeden Augenblick eintreffen. Die
Aufnahme muß gemacht werden um jeden Preis
und kein anderer als Äie, Hritz, kann sie machen,
da mein Nann nicht da ist. Am ein Uhr ist gewiß
alles vorüber und Aie kommen noch rechtzeitig in
die Airche."

„Ia, das kenne ich!" jammerte Kritz verzweifelt
und rannte in das Atelier zurück, um alles vorzu-
bereiten.

Ls schlug zwölf Uhr — es schlug halb eins,
nnd das hohe Brautpaar war noch immer nicht in
Licht. Hritz rannte wie besefsen im Atelier auf und
nieder und fluchte wie ein Rohrspatz. Lndlich fnhr
ein Wagen vor und schrill ertöute die Hausglocke.

„Lndlich!" murmelte Sritz erleichtert.

Lin dicker, alter Herr keuchte mit kirschrotem
Gesicht die Treppe herauf.

„Aber zum Tonnerwetter, Hritz, wo bleibst T>u

denn?" schrie er. „Deine Braut glaubt, Dir sei irgend
ein grästliches Unglück zugestoßen und heult, dast sie
der Bock stöstt. Borwärts, mein Iunge, vorwärts —
es ist die höchste Zeit! Ich habe den Alagen gleich
mitgebracht."

„Ich kanrr nicht, Lchwiegervater, ich darf nicht!"
jammerte der unglückliche Bräutigam und berichtctc
dann mit sliegenden Morten, rvas sich ereignet.

„2a, Lchwerebrett, ohne T-ich kann doch dic
>tzochzeit nicht stattfinden, mein 2unge!" fagtc der
alte, dicke Herr. „Deinc Prinzipalin muß ebcn
auderswie Rat schaffen."

Hritz stürzte rvieder hinüber in die Privatwohirung
feines Prinzipals urrd drarrg trotz Thristel's Einspruch
sicgreich vor bis arr das Bett der jringen Hrau.

„Hrau Lchrey, ich kann beim bcsteu Allllen nicht
länger warten, und die Herrschaften komrnen noch
inrnrer nicht!" lamentierte er. „Aiein Schwiegervater
donnerwcttert drriben im Atelier und rneiiie Braut
weint, daß sie der Lock stöstt. Also lassen Bie mich
unr Kotteswillerr fort, oder es giebt wahrhaftig ein
llngliick."

„Hritz, Bie dürfen nicht fort!" rief die arme Hrau
Alara entsetzt. „Bedenken L-ie doch, wenn die Herr-
schaften kommen und die Anfnahme kann nicht statt-
finden, so sind wir blamiert für ewige Aeiten. Lassen
Bie 2hren Bchwiegervater mit der Braut doch imnrer
voraus zur Airche fahren!"

Hritz raufte sich die frisierten Locken und lief
wieder zu seinem Achwiegervater, der nur fehr wider-
willig ohne seinerr Zchwiegersohn den Rückzug antrat.
Lndlich — errdlich gegen ein Uhr erschien der hohe
Besuch inr Atelier. Hritz entschuldigte den abwesen-
den Prinzipal, und rasch rvar die erste Ausnahme
genracht. Aber inzwischen wareu zwei Lakaien er-
schienen und hatten sür den hoherr Herrn verschiederre
Unisormerr mitgebracht, die er der Reihe rrach an-
legte, um sich in ihnen photograplsteren zn lassen.
Hritz schwitzte Blut vor Angst und Äufregung, denn
jeden Augenblick kam ein Bote aus der Airche mit
der kategorischen Aufforderung, der Bräutigam rnöge
augenblicklich dort erscheineu. 2n nicht minder großer
Ausregung befand sich Srarr Alara, der die Thristel
geschästig und getreulich berichtete, was vorging.

„Ter arine"Herr Sritz," rief sie durch die Ainrmer-
thüre. „Lben ist schon wieder ein Bote aus der
Airche gekonrmen. T>er psarrer hätte nach der Tran-
ung noch drei Aindstaufen vorzunehnren und es wäre
die allerhöchste Zeit." Hünf Ninuten später war
die Lhristel schon rvieder arr der Lhür. „2etzt ist
gar der Aircherrdiener da, Nadame. Älenrr der Herr
Hritz jetzt nicht sofort käme, müstte die iLrauung ab-
gesagt werden. T>er Psarrer hat inzwischeii fchon
die drei Airrder getauft, aber um zwei Uhr hat er
eine Leiche in der Vorstadt und unr drei llhr Aou-
strmanden-Unterricht — der arme l)err Hritz!"

Hrau Atara, die sich außer Stande sühlte, das
Bett zu verlassen, geriet ob all dieser Vorgänge in
die größte rrervöse Aufregung, und als endlich die
hohen Herrschaften das Atelier verließen und Hritz
sich kopfüber in einen A?agen gestürzt hatte, um
nach der Airche zu sahren, machte sich ihre Lrregung
in einem Lhränenstrom Luft.

„Pscht, pscht, Herr Schrey! Leise, leise, dast die
Nadame nur ja nicht erschrickt!" wisperte ihm
Lhristel zu, als Schrey spät am Abend nach Hause
kam. „Marum sind Sie uur gerade heute verreist!"

„A)as ist derrn geschehen?" fragte er ängstlich.

„Sehen Sie nur hinein irrs Schlaszimmer, da
 
Annotationen