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Lothar Meggendorfers humoristische Blätter — 8.1892 (Nr. 53-65)

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https://doi.org/10.11588/diglit.20907#0058
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52

L. Äleggendorfers Humoristische Älatter.

r l e q n i n s ^ r b e n.

edermann
der sich
nur ein
»x wenig nlit
- der Thea-
terge-
schichte
des letzten
Iahrhun-

derts beschäftigt hat, weiß, welch' große Rolle anf
der Lühne unserer Troßeltern der tzanswurst fpielte.

Leine Heimat hatte derselbe als Arlechino in
Italien, wo man von jedem guten iDarsteller des-
selben insbesondere auch ein glückliches, den Augen-
blick benützendes, Improvisationstalent fordertx."

Wie dieses der berühmte Tomasfini einst be-
stätigte, sei in Aachstehendem erzählt.

Tomassini hatte im Iahre HL80 eine Tastspiel-
reise nach j)aris unternommen und von dort war
in seine Heimat Bergamo die Aachricht seines Todes
gelangt. Comassini lebte nicht nur in güten ver-
hältnissen, sondern war sogar sehr reich; er hinter-
ließ als Ersparnis aus seinen Verdiensten ein eigenes
Haus, ein weitläufiges Landglit, Aleinberge und
bedeutendes Barvermögen. Da er unverheiratet
geblieben, hatte er eine angeblich entfernte Verwandte
zu sich in's Haus genommen.

Ein Cestament Tomassini's sand sich nicht vor,
und daher beeilten sich drei Vettern— Äöhne eines
Vnkels und zweier Canten des Verstorbenen, die
Lrbschaft anzutreten, obgleich sie, in demselben Srte
wohnend, mit ihrem Lousin Arlechino bei dessen
Lebzeiten nicht nur nicht verkehrt, soudern ihm
sogar aus Acham vor fßinex Beschäftigung verboten
hatten, seinen richtigen Aamen „Vicentmi" zu führen.
Diese lachenden Lrben glaubten mit der Hinterlassen-
schaft ihres Vetters schnell fertig zu werden und
wollten sich ganz einfach nach ihrem eigenen Lr-
messen darein teilen; denn wer würde sich wohl er-
lauben, ihnen zu widersprechen, da sie zugleich die
Lpitzen der Stadt Bergamy repräsentiexten — nämlich
Ignazio Vicentini war Podesta, Annibale Corribio
Mlitärkommandant und Lornaro Notar der Ztadt
Bergamo.

Zu diesem Zwecke versammelten sie sich im Hause
iL.omassini's und einigten sich sehr leicht über die
Verteilung; zuletzt handelte es sich iwch um ein Ltück
weingarten, welches sie besichtigen wollten.

Ta findet sich auf ihrem Wege noch ein bisher
übersehener, festverschlossener Aoffer; sie vermögen
ihn nicht ^u öffnen und rufen ^erline, die Verwandie
Tomassinl's, herbei; doch auch diese weiß nichts von
dem Schlüssel. T>er Aoffer wird gewaltsam gesprengt,
und zur Lnttäuschung aller finden sich darin drei
Pakete, jedes ein Harlequin-Aoftüm enthaltend, mit

Julian Olden.

daran befestigtem Zettel: Nr. 1. Tas Aoftüm meines
ersten Tebuts. Ar. 2. Nein Aoftüm bei dem ersten
immensen Lrfolg als „Harlequin Proteus." Ar. 3.
Aostüm meines großartigsten Triumphes als „tzar-
lequin tot und begraben." Troßmütig überlasfen
sie der armen verwaisten Zerline diese drei Aostüme
als ihren Ceil des Aachlasses, und der Herr podesta
riet ihr außerdem, sich baldmöglichst nach einer anderen
Unterknnft umzuschauen, da er gehürt, daß sie in
zärtlichen Beziehungen zu seinem Iohne Larlo stehe;
er werde dies jedoch nicht dulden. — T>ann schritten
die Herren Lrben sort zur Besichtigung des Alein-
gartens.

Tes Vaters strenge Alorte hat indessen Larlo ge-
hört, welcher hinter der Thüre nur darauf wartet, daß
sich die drei Alten empfehlen, um in die Arme seiner
Aerline zu eilen. Lr sucht die arnie Aleine möglichst
zu trösten, versichert sie wiederholt seiner ewigen
Liebe und Treue; er werde sie trotz seines Vaters
heiraten. Toch Zerline weist alle seine Projekte
zurück, sie hat einen schnellen Lntschluß gefaßt.

„Nein lieber Tarlo, ich muß vernünftiger sein
als Tu; denn da Tein Vater, der Podesta, nie die
Linwilligung zu unserer Heirat geben wird, gehe ich
zum Cheater. Tort kenne ich eine Menge alter
Bekannter meincs verstorbenen Vormundes, und leicht
werde ich ein Engagement als Lolombine finden."

„And ich," ruft Larlo, „suche dann auch die
alten Bekannten Teines Vormundes aus, und leicht
werde ich ein Lngagement als Harlequin finden."

Ls handelt sich nur noch darum, wann Zerline
ihren Lntschluß auszusühren gedenkt; sie will, um
dem unzweideutigen A)ink des podesta zu entsprechen,
sogleich das Haus verlassen. Auf Larlo's Bitten
verspricht sie jedoch zu warten, bis dieser zurückkommt,
und schnell eilt der liebende Iüngling davou, um
desto früher die Eeliebte wieder in die Arme zu
schließen.

Zerline's Aachgiebigkeit, ihren Liebhaber zu er-
warten, trug ihr reiche Hrüchte; denn während sie
dem Tavoneilenden nachlauscht, hört sie deutlich ihren
Namen von einer ihr nur zu bekannten Ltimme
rnfen. Iie zweifelt, sie vermag nicht zu glauben,
daß der totgesagte Vormund nach ihr verlangt, und
doch schwindet jedes Bedenken, als er wenige Aii-
nuten darauf leibhaftig vor ihr steht und unwirsch
wird über den wenig zärtlichen Lmpfang, da sie sich
von ihrer Bestürzung nicht sogleich erholen kann. —
Zerline's Lrstaunen war vollkommen gerechtfertigt,
sie hörte keinen wagen vor das Haus fahren und
Comassini hatte die Reise nach Paris doch mit seinem
eigenen Kuhrwerk unternommen. Lndlich bricht sie
in die A)orte aus: „Nein Tott, ist es möglich? —
Aber ja! Lr ist es! — Herr Vormund, seid Ihr es
wirklich?" ^— ^

Ltaunenden Blickes mustert sich o.omassini von
oben bis unten und spricht: „Ich zweifle nicht daran,
daß ich es wirklich bin. — Ia, leibhaftig bin ich es.
— A)ie sie dasteht und mich anschaut! — Na, wird's
bald mit der Amarmung?"

„Ich Äe umarmen? Ia seid Ihr denn nicht
gestorben?"

„Testorben?- LAein Lhrenwort, nein!" —

Lrst dieser Versicherung bedarf es, damit Z,erline
den teuren Totgeglaubten in ihre Arme schließt.

„welche ßreude, welches Tlück!" ruft sie. „Tie
Leute sagen alle, Ihr seid schon beerdigt."
 
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