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die Wertindividualität, die Persönlichkeit. Solche selbstän-
digen sozialen Werte sind Gattung, Menschheit, Nation,
Gesellschaft und Staat, von denen der zuletzt genannte Wert
in Fichtes Geschichtsphilosophie erst verhältnissmässig spät
nach Ablegung seines ursprünglich rein formalen Charakters
selbständige Bedeutung gewinnt.
Für die ganze philosophische Bewegung dieser Zeit ist
ein intimes Eingehen auf die Probleme der Geschichte, Kunst
und Religion besonders charakteristisch. Wie sich die Wissen-
schaft mit dem Ursprung und Werden der Sprachen, Poesie
und Religion beschäftigte, wie das lebendige historische
Interesse den Strom des Geschehens auf seine ersten Quellen
zurückzuverfolgen bemüht war, so suchte die Philosophie
das Werden der Vernunft in seinem Ursprung zu erfassen
und in seinem Fortschreiten zu begreifen. Das Interesse an
den genetischen Problemen tritt in der Wissenschaftslehre
deutlich hervor, die uns eine pragmatische Geschichte der
Vernunft bietet. Schelling hat die Bedeutung einer solchen
Deduktion für das geschichtsphilosophische Denken richtig
erkannt, wenn er sagt: „Ein Verhältniss zur Mythologie
(und damit auch zur Geschichte) hat die Philosophie erst
mit ihrer eigenen innerlich geschichtlichen Gestaltung er-
halten, seitdem sie durch Momente fortzuschreiten anfing,
sich als Geschichte wenigstens des Selbstbewusstseins er-
klärte"1). Diese Geschichte des Selbstbewusstseins glaubte
allerdings Schelling in seinem Systeme des transzendentalen
Idealismus selber zuerst geliefert zu haben.
Schon Hamann und Herder hatten im Namen des re-
legiösen und ästhetischen Gefühls den Kampf gegen den
Rationalismus und Formalismus der Aufklärung begonnen,
die in der Form des Deismus das religiöse, in der rationalen
Kunsttheorie das ästhetische Leben gemeistert hatte. Im
letzten Viertel des 18. Jahrhunderts war dieser Kampf auf
der ganzen Linie mit voller Heftigkeit entbrannt. Gegenüber
dem Allgemeinen der Regel und des Gesetzes wird in Sprache,
Rede und Dichtkunst das Unlogische, das Individuelle, die
Inversion, die poetische Freiheit und Willkür betont. Das
Uebermass der Kunstregeln wird zurückgewiesen, das Recht
der Ausnahme verteidigt, das Unmittelbare des Gefühlslebens
über die Mittelbarkeit des Verstandesmässigen erhoben.
Unter vollkommener Verkennung der ernsten Begriffsarbeit
spekulativer Erkenntnis wird in Jacobis Gefühls- und Glaubens-
pliilosophie das Irrationale über das Rationale erhöht, gegen-
über dem rationalen Denken Kants, das mystische Schauen
erhoben, gegenüber dem Formalismus des Wertens auf das
Unerklärliche der Individualität, ihre Eigenart und urspriing-
1) Schelling, Werke II, Bd. I, S. 223.
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die Wertindividualität, die Persönlichkeit. Solche selbstän-
digen sozialen Werte sind Gattung, Menschheit, Nation,
Gesellschaft und Staat, von denen der zuletzt genannte Wert
in Fichtes Geschichtsphilosophie erst verhältnissmässig spät
nach Ablegung seines ursprünglich rein formalen Charakters
selbständige Bedeutung gewinnt.
Für die ganze philosophische Bewegung dieser Zeit ist
ein intimes Eingehen auf die Probleme der Geschichte, Kunst
und Religion besonders charakteristisch. Wie sich die Wissen-
schaft mit dem Ursprung und Werden der Sprachen, Poesie
und Religion beschäftigte, wie das lebendige historische
Interesse den Strom des Geschehens auf seine ersten Quellen
zurückzuverfolgen bemüht war, so suchte die Philosophie
das Werden der Vernunft in seinem Ursprung zu erfassen
und in seinem Fortschreiten zu begreifen. Das Interesse an
den genetischen Problemen tritt in der Wissenschaftslehre
deutlich hervor, die uns eine pragmatische Geschichte der
Vernunft bietet. Schelling hat die Bedeutung einer solchen
Deduktion für das geschichtsphilosophische Denken richtig
erkannt, wenn er sagt: „Ein Verhältniss zur Mythologie
(und damit auch zur Geschichte) hat die Philosophie erst
mit ihrer eigenen innerlich geschichtlichen Gestaltung er-
halten, seitdem sie durch Momente fortzuschreiten anfing,
sich als Geschichte wenigstens des Selbstbewusstseins er-
klärte"1). Diese Geschichte des Selbstbewusstseins glaubte
allerdings Schelling in seinem Systeme des transzendentalen
Idealismus selber zuerst geliefert zu haben.
Schon Hamann und Herder hatten im Namen des re-
legiösen und ästhetischen Gefühls den Kampf gegen den
Rationalismus und Formalismus der Aufklärung begonnen,
die in der Form des Deismus das religiöse, in der rationalen
Kunsttheorie das ästhetische Leben gemeistert hatte. Im
letzten Viertel des 18. Jahrhunderts war dieser Kampf auf
der ganzen Linie mit voller Heftigkeit entbrannt. Gegenüber
dem Allgemeinen der Regel und des Gesetzes wird in Sprache,
Rede und Dichtkunst das Unlogische, das Individuelle, die
Inversion, die poetische Freiheit und Willkür betont. Das
Uebermass der Kunstregeln wird zurückgewiesen, das Recht
der Ausnahme verteidigt, das Unmittelbare des Gefühlslebens
über die Mittelbarkeit des Verstandesmässigen erhoben.
Unter vollkommener Verkennung der ernsten Begriffsarbeit
spekulativer Erkenntnis wird in Jacobis Gefühls- und Glaubens-
pliilosophie das Irrationale über das Rationale erhöht, gegen-
über dem rationalen Denken Kants, das mystische Schauen
erhoben, gegenüber dem Formalismus des Wertens auf das
Unerklärliche der Individualität, ihre Eigenart und urspriing-
1) Schelling, Werke II, Bd. I, S. 223.
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