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Das zeitlos Geltende soll zu einer zeitlichen Realisierung
gelangen. Das Zeitliche ist nur bedeutsam, insofern sich der
Wert mit ihm verbindet, ohne ihn würde es absolute Nichtig-
keit sein. Indem durch die Betätigung der menschlichen
Gattungsvernunft das zeitliche Wissen sich zu einem Abbild
des ewigen Wissens gestaltet, wird die Offenbarung des
Absoluten erst vollendet.
In dem Wert in seiner Absolutheit ist stets zugleich
vorhanden, was in der Wirklichkeit sich sukzessive darstellt.
In der Zeit ist gleichsam auseinandergezogen und entfaltet,
was im Zeitlosen simultan und in sich geschlossen ist. So
heisst es bei Schelling „Das zeitliche Wissen und das zeit-
liche Handeln setzt nur auf bedingte Weise und sukzessiv,
was in der Idee auf unbedingte Weise und zugleich ist".
In diesem Nacheinander, in diesem sukzessiven Ablauf liegt
das Unvollkommene des Zeitlichen, weil das, was zusammen-
gehört und seinem Wesen nach eine Einheit bildet durch
die Zeit auseinandergezogen und verzettelt erscheint, so dass
wir überall nur zerstreute Teile finden, die zusammenzusetzen
und in ein harmonisches Bild zu bringen, die unendlich
schwierige Aufgabe der menschlichen Vernunftbetätigung ist,
wenn sie sich daran macht, den Gang der Wertverwirklich-
ung im einzelnen nachzuforschen.
Seltsam und rätselhaft muss es erscheinen, wie in dem
Zeitlichen, Endlichen etwas Zeitloses, Unendliches als über-
empirischer Gehalt vorhanden sein soll. „Doch schliesst",
sagt Schelling, „die Zeit die Ewigkeit nicht aus, und die
Wissenschaft, wenn sie auch ihrer Erscheinung nach eine
Geburt der Zeit ist, geht doch auf Gründung einer Ewigkeit
mitten in der Zeit. Was wahr ist, ist wie das, was an sich
selbst recht und schön ist, seiner Natur nach ewig und hat
mitten in der Zeit kein Verhältnis zur Zeit". Die Wissen-
schaft ist ein allgemeingültiger Wert, zugleich unabhängig
von den einzelnen Individuen wie von der Zeitlichkeit. Diese
ihre überempirische Bedeutung zeigt sich darin, dass sie
Sache der Gattung ist, welche selbst ewig ist. Die Ueber-
lieferung, welche dazu führt, dass in dem endlosen Fluss der
Erscheinungen immer neue Individuen an die Stelle der
alten treten, um das begonnene Werk fortzusetzen, ist der
symbolische Ausdruck ihres ewigen Lebens.
Das Hineinbrechen des Ewigen in das Zeitliche, das
Hineinragen des zeitlos Gültigen in die empirische Wirk-
lichkeit wird von Schelling als Offenbarung bezeichnet und
damit der Wunderbarkeit der Wertverwirklichung Rech-
nung getragen. In „Philosophie und Religion" drückt er sich
dahinaus, dass in Wissenschaft, Kunst und Religion die
Ideen, die ewigen Werte sich in die Zeitlichkeit herab-
 
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