Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
an Einzelheiten durch das Ideal. Er mußte viel
können und noch mehr wagen. Nur die Freske konnte
zu den Übertreibungen der Primaticcio und Parme-
giano führen, in einer Zeit, als die Ölmalerei kaum
den Kinderfchuhen entwachfen war und daher nur
fchüchtern auftreten konnte. Übrigens glaube ich, daß
man ohne eine fehr feltene vielumfaffende Anlage nie
in beiden Arten —dem Fresko und der Staffeleimalerei —
gleich erfolgreich fein kann. Ich kann mir keine
Freske eines Rubens vorftellen. Und die Ölbilder
Raffaels verraten die Unficherheit, die er bei der Ein-
führung der dem Fresko unnötigen, ja verderblichen
Einzelheiten empfinden mußte.

Linienkontrafte. Bei jedem Motiv muß das erfte,
was mit der Zeichnung erfaßt wird, der Kontraft
zwifchen den Hauptlinien fein. Ihn muß man, bevor
der Stift das Papier berührt, gut erfaßt haben. Bei
Girodet z. B. findet man das wohl zum Teil in feinen
Werken, weil er infolge feiner Beobachtung des Modells
hier und da etwas von feinem Reiz erfaßt. Aber es
findet fich wie durch Zufall. Er erfaßte es nicht mit
bewußter Abficht. *** fcheint mir der einzige, der
das Prinzip verftanden und beherrfcht hat. Darauf
beruht das ganze Geheimnis feiner Zeichnung. Das
Schwierigfte ift, das Prinzip, fo wie es ihm gelingt, auf
den ganzen Körper anzuwenden. Ingres hat es für
Einzelheiten der Hände gefunden, und zwar ohne
künftliche Mittel für das Auge. Man würde es nie mit
Hilfsverfahren wie Verlängerung einer Linie oder häu-
figes durch Glas Zeichnen erlangen. Alle anderen Maler
—Michelangelo und Raffael nicht ausgenommen - haben
mit Inftinkt, mit Temperament gezeichnet und den
Reiz getroffen, weil fie in der Natur davon betroffen

331
 
Annotationen