Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Meier-Graefe, Julius [Hrsg.]; Renoir, Auguste [Ill.]
Auguste Renoir — München, 1920

DOI Seite / Zitierlink:
https://doi.org/10.11588/diglit.27183#0033
Überblick
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
seinem Evangelium gemacht haben. Er hat in der Tat nie ohne Modell
gemalt, und noch heute muß das Modell im Atelier sein, wenn er
arbeiten will. Ob er es anschaut, ist eine andere Frage. Diese Maß-
regel brachte von vornherein eine Beschränkung des Gegenständ-
lichen mit. Er erkannte die Notwendigkeit, ebenso seine durch
die Farbe gegebenen äußeren Formenmöglichkeiten scharf zu be-
grenzen. Und auch diese Schranke gehört zu ihm, sowie zu Dela-
croix, dem nichts Stoffliches fremd blieb, die unübersehbare Skala
der gegebenen Formen gehört. Was ihn in dem Bilde der ver-
kleideten Pariserinnen verriet, war die Ratlosigkeit vor dem Zauber
der Farben und den Gesten des geliebten Meisters. Er sah
hundert Türen vor sich und wußte nicht, durch welche sein Weg
ging, und fand sich plötzlich als wirrer Räuber mitten in dem
feenhaften Palast, wo für seine Art kein Platz war. Er hat sich
das Erlebnis zur Lehre dienen lassen. Man mag die selbst-
gewählten Grenzen seiner Art im Vergleich zum Umfang Dela-
croix’ beschränkt finden, mag zugestehen, daß er dem Palaste
des Meisters wirklich nur ein Kissen entführte: in dieser Be-
schränkung, die sein reinlicher Instinkt freiwillig auf sich nahm,
zeigt sich ein Meister von vorbildlicher Weisheit. Denn so
kam er zum Reichtum. Innerhalb der Schranken wuchs seine Art
organisch und reich wie eine unbeschränkte Naturmacht. Der
Überfluß seiner Gaben ist so hinreißend, daß man meinen könnte,
ein Delacroix, ein Rubens nahe sich uns in der Verkleidung eines
Einfältigen, und nur eine Zeitfrage — fast nur eine Kostümfrage
— halte ihn zurück, sich uns in der ganzen Herrlichkeit eines der
Kunstfürsten vergangener Epochen zu zeigen.

Persönliche Neigung leitete ihn zu einer bestimmten Art von
Motiven. Er nahm die Erscheinung des Weibes zum Mittelpunkt
seiner Kunst. Wir wissen, er hat nicht nur Frauen geschaffen,
aber die Variationen über das Weibliche geben den alles übrige
bestimmenden Ton und überwiegen, wenigstens in der ersten
Hälfte seiner Tätigkeit, dermaßen, daß der Rest nahezu nur
wie eine Kulisse des Hauptthemas erscheint. Und diese an
sich beschränkte Art von Motiven hat er mit einer beschränkten
Palette so gemalt, wie Rubens und Delacroix ihre Bilder. Nur die
Frau hat er gegeben, ein Nichts im Vergleich zu dem Kosmos
Delacroix’, die Frau allein, so gut wie ohne Szenarium, ohne Zu-

29
 
Annotationen